0965 - Der Killerbaum
mit Blumen geschmückt hatte.
Geranien, Fuchsien und andere Blumen wuchsen in Kübeln und gaben uns eine gewisse Deckung. Aber auch wir konnten kaum über die Gewächse hinwegschauen, so daß wir uns wie auf einer kleinen Insel vorkamen.
Das Haus lag in einem Neubaugebiet, wo fast alle Bauten gleich aussahen, was Lindner jedoch nicht störte. Er fühlte sich hier wohl. Auch deshalb, weil der Wald in der Nähe lag, den er beinahe täglich durchwanderte. Er war allein, sein Frau arbeitete. So hatte er Zeit und war auch froh gewesen, mit zwei Menschen sprechen zu können, die ihm sehr genau zuhörten und ihn nur selten durch Zwischenfragen unterbrachen.
Immer öfter hatte er sich den Schweiß von der Stirn wischen müssen, denn gerade das letzte Drittel seines Berichts regte ihn auf. Für sein Alter sah er noch gut aus. Er wirkte auch rüstig. Eine gesunde Gesichtsfarbe zeugte von längeren Aufenthalten an der frischen Luft. Das graue Haar lag wohlfrisiert auf seinem Kopf, und der Oberlippenbart war exakt geschnitten.
Er berichtete uns auch davon, daß er mit dem Förster an den Fundort zurückgekehrt war, und wir vernahmen mit Erstaunen, daß es den Baum dort nicht mehr gab.
»Tatsächlich nicht?« fragte Suko.
Er nickte heftig. »Sie können mir glauben oder nicht. Aber er stand nicht mehr auf seinem Platz.«
»Haben Sie eine Erklärung, Mr. Lindner?«
»Nein, Inspektor, habe ich nicht.« Wieder wischte er Schweiß aus seinem Gesicht. Der Korbstuhl ächzte, als sich Lindner bewegte. »Ich habe keine Erklärung dafür und werde auch wohl nie eine bekommen. Haben Sie denn eine, meine Herren?«
»Noch nicht«, gab ich zu.
»Das wußte ich. Keiner hat sie. Und es wird sie auch keiner bekommen, das weiß ich. Es gibt sie einfach nicht. Zumindest nicht rational. Wir müssen es hinnehmen, und damit basta. Die Welt ist voller rätselhafter Dinge. Meist geschehen sie nur an anderen Orten. Diesmal aber hat es mich erwischt.« Er hob die Schultern. »Ist ja auch wahrscheinlich, denke ich mir.«
»Es gibt für alles eine Erklärung«, hielt ich ihm entgegen.
Er starrte mich an. »Beinahe hätte ich Klugschwätzer gesagt.«
»Das können Sie ruhig, aber wir sind erschienen, um den Fall aufzuklären.«
»Dann finden Sie den Baum.«
»Das hatten wir vor.«
Lindner war baff. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Es fehlten ihm plötzlich die Worte. Wir ließen ihm Zeit, er mußte noch einen Schluck Wasser trinken. »Sie sind also fest davon überzeugt, den Mörderbaum zu finden?«
»Wir suchen ihn«, präzisierte Suko.
»Dann glauben Sie mir?«
»Warum nicht?«
Malcolm Lindner mußte lachen. »Das ist ja ein Ding! Sie glauben mir. Sie glauben mir tatsächlich. Sie sind die ersten, die das tun, und dazu noch zwei Polizisten.«
»Irgendwer muß ja damit mal anfangen«, sagte ich.
»Ja, das schon.« Er hob die Schultern und schwieg.
Dafür sprach Suko weiter. »Sie wissen aber nicht, wo er hingegangen sein könnte?«
»Hingegangen?« Lindner mußte wieder lachen. »Ja, das ist gut. Er ist gegangen. Seine Wurzeln waren Beine. Er kann sicherlich gegangen sein, aber ich weiß es nicht.«
»Sie haben keine Spuren entdeckt?«
»Nein. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich auch nicht nach ihnen gesucht, meine Herren. Es kann sie geben, das muß aber nicht sein. Jedenfalls habe ich mich darum nicht gekümmert.«
»Das ist schade«, meinte Suko, »sehr schade sogar. Der Baum ist ja keine Maus, die einfach verschwinden kann. Sollte er sich tatsächlich aus eigener Kraft bewegt haben, dann muß es Spuren geben. Er muß sich seinen Weg gebahnt haben, verstehen Sie?«
»Ja, klar.«
»Schneisen gerissen, wie auch immer. Also könnte man ihn verfolgen.«
»Das glaube ich auch.«
»Das genau sollten wir tun«, sagte Suko.
Malcolm Lindner schaute auf seine Knie. »Ich habe daran noch nicht gedacht, aber es ist wohl ein guter Vorschlag.«
»Bei dem Sie uns helfen können, Mr. Lindner. Denn Sie allein kennen den Ort, wo der Baum einmal gestanden hat. Und Sie sollten uns dorthin führen.«
Der Rentner riß die Augen weit auf. »Jetzt?« flüsterte er. »Ich meine, ahm, noch an diesem Tag?«
»Natürlich.«
Angenehm war es ihm nicht, aber kneifen wollte er auch nicht, deshalb nickte er. »Wie Sie meinen. Dann, dann fahren wir hin. Den Rest der Strecke müssen wir allerdings zu Fuß gehen. Es ist aber nicht weit. Zudem gibt es gut befahrene Wirtschaftswege, die den Wald durchkreuzen.«
»Das ist schon was«, sagte ich.
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