0965 - Der Killerbaum
»Noch eine Frage, Mr. Lindner. Haben Sie schon darüber nachgedacht, was hinter diesem rätselhaften und unheimlichen Vorgang stecken könnte?«
»Wie meinen Sie das denn?« Er blickte mich fragend an. Auf seiner breiten Stirn lagen winzige Schweißperlen in den Hautfalten.
»Nichts geschieht ohne Motiv. Auch der Baum ist nicht von allein losgewandert. Etwas muß ihn getrieben haben. Wahrscheinlich hat er sogar einen Befehl bekommen. Jemand muß ihm gesagt haben, was er tun sollte, und er ist diesem Befehl letztendlich gefolgt. Das ist es, was ich meine.«
»Muß ich das verstehen?« Lindner verzog das Gesicht. Es sah hilflos aus.
»Nein, das brauchen Sie nicht. Ich wollte ihnen nur damit klarmachen, daß eine Kraft dahintersteckt, die es dem Baum ermöglicht, eine derartige Wanderung zu unternehmen.«
Ich lächelte etwas verbissen und sagte dann: »Wenn ich das wüßte, ginge es mir besser. Sie kennen sich im Wald aus. Sie durchwandern ihn beinahe jeden Tag. Ist Ihnen denn in den letzten Tagen oder Wochen keine Veränderung aufgefallen?«
»Nein, ist mir nicht.«
»Überlegen Sie bitte genau, Mr. Lindner.«
»Gesehen habe ich den Baum, ja, aber nur das eine Mal. Wenn es ihn schon länger gibt, muß er erst kurz zuvor dort aufgetaucht sein. Hingewandert.«
Suko ließ seinen Atem sehr laut aus dem Mund strömen, bevor er mich anblickte. »Wir haben es mit einem Baum zu tun, der sich auf Wanderschaft befindet. In dem etwas steckt, das ihn vorantreibt. Aber was, frage ich dich.«
Ich baute mit meinen Fingern ein M. Lindner übersah das Zeichen. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt und betrachtete seine Füße. Suko konnte recht haben, denn mit dem M war Mandragoro gemeint.
Der Inspektor war es auch, der den Faden wieder aufnahm. »Mr. Lindner«, sagte er, »Sie haben doch mit dem Förster gesprochen oder?«
»Ja, natürlich. Er hat sich den Platz angeschaut.«
»Ein Förster kennt seinen Wald, sollte man meinen. Wenn wir davon ausgehen, daß es auch bei - wie heißt der Mann?«
»Jerome Hastings.«
»Gut, danke. Daß es auch bei Jerome Hastings der Fall ist, dann wundert es mich, daß ihm dieser wandernde Baum noch nicht aufgefallen ist. Das ist für mich wirklich ein Rätsel.«
»Er war ebenso überrascht wie ich.«
»Was sagst du zu dem Förster, der seinen Wald nicht kennt - dem kein wandernder Baum aufgefallen ist?«
»Im Moment nicht viel. Aber das läßt sich ändern, wenn wir mit ihm reden.«
»Ich kann Ihnen sagen, wo Sie ihn finden.«
»Das wäre nett.«
Wir bekamen die Adresse und auch eine Wegbeschreibung. Noch war es draußen hell, und ich glaubte nicht, daß der Baum bei Tageslicht auf Beutezug ging. Das würde frühestens bei Einbruch der Dunkelheit geschehen.
Bis dahin wollten wir einen Schritt weiter sein.
***
Obwohl zwei Betten leerblieben, war der Platz im Wohnmobil begrenzt.
Die zehn Tänzerinnen lebten hier auf engstem Raum, schliefen und wohnten auf Etagenbetten.
Auf Rocco Wildes Geheiß hin hatten sich die Mädchen in den Wagen zurückgezogen, weil er ihnen dort einiges zur Lage der Nation erklären wollte, wie er sich stets auszudrücken pflegte. Sie kannten diese Reden, sie mochten sie nicht, aber das mußten sie akzeptieren, denn Rocco Wilde war schließlich ihr Chef. Durch die große Anzahl der Betten war für die kleine Küche nicht viel Platz, und die ebenfalls enge Toilette konnte man sowieso vergessen.
Geduscht wurde immer auf dem Platz. Dafür stand ein entsprechendes Haus zur Verfügung.
Die Tänzerinnen hockten auf den Betten. Es kam nur selten eine derartig bedrückende Stimmung zwischen ihnen auf. Sie sprachen kaum miteinander. Ihre Gedanken drehten sich einzig und allein um ein Thema.
Zwei aus ihrer Mitte waren tot. Jedes der Mädchen stellte sich dieselbe Frage, aber keine wagte es, die Worte laut auszusprechen. Wer ist als nächstes von uns dran? fragten sie sich.
So schwiegen sie verbissen. Die blonde Sandra, deren Haare unwahrscheinlich kurz geschnitten waren. Wie ein heller Schatten standen sie auf dem Kopf. Sandra versuchte verzweifelt, sich durch Stricken abzulenken. Sie schaffte es nicht. Andere schauten auf die Glotze, wo eine Comedy Show lief. Der Ton war abgestellt worden, und die Akteure bewegten sich fast geisterhaft über den Bildschirm.
Carmen saß auf dem Rand ihres Betts. Sie schlief oben. Die Beine baumelten herab. »Wir sollten gar nicht hier im Ort bleiben«, sagte sie, »sondern verschwinden.«
Sandra ließ ihr Strickzeug
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