0965 - Der Killerbaum
Seine Handflächen schwitzten. Er wischte sie trocken. Aus dem Wagen der Tänzerinnen hörte er ein schrilles Lachen, was ihm nicht paßte.
Die hohen Bäume hinter dem Wohnwagen und dem primitiven Restaurant sahen aus wie gemalte Schatten. Über ihnen färbte sich der Himmel dunkel. In dieser Freßbude brannte kein Licht. Auch die Terrasse lag im Dunkeln. Nur durch die Fenster des Wohnwagens fiel ein blasser Schein nach draußen.
Der Killer würde kommen. Er war bereits unterwegs. Rocco Wilde glaubte fest daran. Aber er war nicht mehr so sicher, ob er es auch schaffen würde, ihn zu töten. Carmens Worte hatten ihn schon nachdenklich werden lassen.
Gab es das wirklich, von dem man fast jeden Tag in den Zeitungen lesen konnte? Dieses Andere, von dem die Menschen immer sprachen. Das Geheimnisvolle aus dem Jenseits oder die Kraft, die aus den anderen Welten hervorkam…
Er wußte es nicht. Persönlich hatte er sich darum nicht gekümmert, aber andere Menschen hatten wohl einen Draht dazu, sonst wäre darüber nicht so viel geschrieben worden.
Auch Carmen?
Sie war eine Farbige. Gerade unter den Exoten gab es Menschen mit einer starken Sensitivität für gewisse Dinge, die außerhalb des normalen Wahrnehmungsvermögens lagen. Seit einigen Minuten betrachtete er Carmen mit anderen Augen.
Ohne es richtig bemerkt zu haben, war er bis in die Nähe der Terrasse gegangen. Die Stühle und Tische standen noch draußen, allerdings nicht mit Ketten verbunden, sie es oft in den Lokalen der Großstädte der Fall war.
Still war es - zu still!
Nein, plötzlich nicht mehr, denn Rocco hörte das ungewöhnliche Schleifen und Knacken jenseits der hinter dem Lokal stehenden Bäume, und er hielt den Atem an.
Er wurde mit diesen fremden Geräuschen nicht fertig. Sie waren anders, paßten nicht hierher. Gefährlich klangen sie. Eine Vorwarnung. Jetzt wäre noch Zeit gewesen, zu verschwinden, auch mit den Mädchen, aber Wilde blieb stehen und zog seinen Revolver. Viel sicherer fühlte er sich nicht, doch er brauchte irgend etwas, um sich daran festzuhalten.
Etwas eingebildet hatte er sich nicht. Diese Laute waren vorhanden und ver-, stärkten sich sogar. Das Knacken klang in seinen Ohren, als würden Knochen gebrochen oder in einer großen Mühle zu Mehl gemahlen.
Hinter dem Lokal schwankten die Wipfel der Bäume. Rocco Wilde wunderte sich darüber, denn sie bewegten sich keinesfalls nur in eine Richtung. Sie schwankten so hin und her, als würde sich ein Monster dort zu schaffen machen.
Unmöglich!
Dieses Wort schoß Rocco Wilde durch den Kopf. Das war überhaupt nicht zu erklären.
Der Mann stand da wie angewurzelt. Er war völlig perplex. Der Atem pfiff durch seinen Lippenspalt. Es war kein Wind zu hören, der in die Krone gefahren wäre und sie deshalb bewegt hätte. Ihm fehlte einfach die Erklärung.
Da fielen ihm die Worte der dunkelhäutigen Tänzerin ein. Carmen hatte von gewissen Dingen gesprochen, die vorhanden waren, vor denen man sich aber fürchten mußte. Es war das Unerklärliche in der Welt, das jenseits des Sicht-und Wahrnehmbaren lag, mit dem sich Menschen schließlich abfinden mußten.
Rocco Wildes Gedanken versanken. Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er mitbekam, was sich da auf ihn zubewegte und sich durch die Bäume nicht aufhalten ließ. Es war unwahrscheinlich, es war der reine Wahnsinn.
Der Atem stockte ihm. Seine Kehle war auf einmal zu. Auch wenn er seine Überraschung hätte hinausschreien wollen, es wäre ihm nicht gelungen, denn ein Baum kam ihm entgegen. Ja, ein Baum! Ein wandelnder Baum! Rocco hätte jetzt fliehen müssen. Er nahm die Chance nicht wahr, sondern glotzte weiter über das flache Dach des Lokals hinweg. Seinen Revolver hatte er vergessen. An Schüsse war überhaupt nicht zu denken. Wie hätte er damit einen Baum aufhalten sollen?
Noch stand sein Mund offen. Ein schon klagender Laut floß daraus hervor. Im Kopf spürte er einen gewaltigen Druck, als sollte das Innere des Schädels nach außen gesprengt werden.
Warum? Wieso?
Den gehenden Baum kümmerte es nicht. Er setzte seinen Weg unbeirrt fort und hatte bereits die Rückseite des Lokals erreicht. Wenn er so weitermachte, würde er das gesamte Ding zusammentreten wie eine billige Streichholzschachtel.
Der Baum federte bei jeder Bewegung nach. Manchmal sah es so aus, als wollte er in die Höhe springen, und dann hatte er die sperrigen Hindernisse aus dem Weg geräumt. Er stand dicht an der Rückseite.
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