0966 - Der Weg des Jägers
mir nicht antun. Das geht nicht.«
Das sag mal lieber den Passagieren, die verbeulte Koffer ohne Namensschild aufgeben. Wenn dann gar die Hunde anschlagen, heißt das für eine attentatsgeschädigte Nation: Achtung, Bombe!
»Ich kann Ihre Ungeduld verstehen, Sir, aber seien Sie gewiss, dass es so schnell wie möglich -«
Der Alte drosch mit den flachen Händen auf den Tresen. Er beugte sich so weit vor, dass Betsy fürchtete, seine imposante Geiernase könne ihr ein Auge ausstechen. »So schnell wie möglich reicht mir nicht!«
Erstmals geriet ihr Lächeln ins Flackern. Sie schielte zu den Sicherheitskräften jenseits der Abflughalle, die bereits mit Argusaugen in ihre Richtung blickten. Wenn der Kerl mit dem Zweifamilien-Gesichtserker nicht um mindesten einen Gang zurückschaltete, würden sie sich gleich in Bewegung setzen.
Doch da zuckte das Männlein zurück und knetete die Finger. Tränen traten in seine Augen. »Ich muss mich beeilen. Der Ruf, verstehen Sie? Er ruft mich!«
Das ist es, was ein Ruf so zu tun pflegt! Sie nickte. Mit geschult verständnisvollem Ton fügte sie hinzu: »Natürlich verstehe ich.«
Der Lodenmantelträger hörte sie schon nicht mehr. Er drehte sich um und murmelte: »Ich darf keine Zeit verlieren. Darf ich nicht… o nein!«
Dann schlurfte er mit gesenktem Blick zu den Wartestühlen.
Die Security entspannte sich erkennbar. Auch Betsy widmete sich wieder ihrem Computer. Keine zwei Minuten später hatte sie das Männlein mit der Geiernase bereits vergessen.
***
»43a - da ist es«, sagte Nicole Duval.
Sie deutete auf ein unscheinbares, aber gepflegt wirkendes Doppelhaus.
Sie und Zamorra waren nach kurzem Flug am Hamburger Flughafen angekommen, hatten sich einen Volvo S60 geliehen und waren dann, den Anweisungen eines TomToms folgend, nach Neumünster gefahren.
Das dunkel geklinkerte Haus, in dem Günther Knudsen lebte, lag am Ende einer schmalen Gasse im Norden der Stadt. Ein typisches Vororthäuschen. Lediglich die breite blauweiße Eingangstür fiel ein wenig aus dem Rahmen.
Die Dämonenjäger betraten die rechte Seite des Grundstücks und passierten einen gepflegten Vorgarten, in dem Chrysanthemen blühten und Geißblatt einen angenehmen Duft verbreitete. Sie überquerten gesprenkelte Waschbetonplatten, die bis zur Tür führten.
Zamorra klingelte.
Ein melodischer Gong ertönte von innen. Sie warteten einige Sekunden, doch nichts geschah.
Der Parapsychologe schellte nochmals.
Ohne Ergebnis.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Nicole.
Der Professor nickte. Seit ihrem Aufbruch hatten sie immer wieder erfolglos versucht, Dylan oder Knudsen zu erreichen. Inzwischen machten sie sich ernsthafte Sorgen, dass dem Schotten etwas zugestoßen war.
»Mir auch nicht. Was machen wir jetzt?« Zamorra trat zwei Schritte zurück und ließ den Blick über Türen und Fenster gleiten. Alle geschlossen.
»Knudsens alte Kollegen alarmieren?«, schlug Nicole vor.
»Das wäre eine Möglichkeit. Die dauert mir aber zu lange.« Er tastete nach dem Spezialbesteck in der Innentasche seiner Anzugsjacke. »Vielleicht könnte Freund Dietrich uns reinlassen.«
Nicole zupfte an Zamorras Ärmel. »Schau mal.«
Zwei dicke Glasstreifen fassten die Tür auf den Seiten ein. Obwohl das Glas durch einen Facettenschliff nur verzerrte Einblicke ins Innere gewährte, erkannte der Parapsychologe dahinter eine kurze Bewegung.
»Na, so was. Doch jemand zu Hause?« Er klingelte ein drittes Mal. »Herr Knudsen? Dürfen wir Sie kurz sprechen?«
Der Professor rief so laut, dass selbst ein Schwerhöriger ihn hören musste. Dennoch erntete er keine Reaktion.
Zamorra wechselte einen Blick mit Nicole und verdrehte die Augen. »Was ist nur los mit dem?«, flüsterte er. Dann erhob er wieder die Stimme: »Jetzt machen Sie schon auf! Wir haben Sie gesehen.«
Als immer noch nichts geschah, fügte er hinzu: »Wir sind Freunde von Dylan McMour. Wir wissen, dass er sich mit Ihnen getroffen hat. Mein Name ist Zamorra! Vielleicht hat er mich erwähnt.«
Endlich öffnete sich die Tür.
Vor ihnen stand ein hagerer Mann, der die Dämonenjäger aus dunklen, tief in den Höhlen liegenden Augen anblickte. Er trug eine speckige Cordhose, ein kariertes Hemd und Pantoffeln. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er hätte für Mitte fünfzig durchgehen können, da er aber bereits pensioniert war, musste er älter sein.
»Herr Knudsen?«, fragte Zamorra.
Der Mann nickte stumm und sein Blick pendelte unstet zwischen dem
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