0966 - Der Weg des Jägers
hatte er sie mit dem festen Vorsatz betreten, sich zu betrinken.
Und zu vergessen.
Beim ersten Plan befand er sich nach fünf Pils und drei Klaren genau im Soll. Doch das mit dem zweiten Plan wollte und wollte nicht gelingen. Die toten Frauen verfolgten ihn bis in den Alkoholrausch.
Drei Schwangere, denen der Mörder die Föten aus dem Leib gerissen hatte.
Ihm - ausgerechnet ihm! - hatte der alte Lautner den Fall aufgebrummt.
Knudsen schuftete wie ein Irrer, verbiss sich in den Fall und suchte wie besessen nach Spuren. Doch es gab keine. Das war jedenfalls die einhellige Meinung der Experten von der Spurensicherung.
Aber das hielt er für unmöglich. Kein Mensch konnte drei derart bestialische Verbrechen begehen, ohne auch nur den Hauch eines Hinweises zu hinterlassen.
Nein, ein Mensch sicherlich nicht, aber…
Halt die Klappe! Denk nicht mal daran.
Er gehorchte dem innerlichen Befehl. Erstens forderte Lautner von ihm Fakten, Fakten, Fakten und keine halb garen Gespenstergeschichten. Und zweitens war seine Idee zu absurd, um sie Theorie zu nennen. Auch wenn die Umstände damals ähnlich waren und Lars ihn beschworen hatte, ihm zu glauben. Aber wer konnte so etwas glauben? Wer?
»Ist hier noch frei?«, fragte eine Stimme.
Knudsen brummte ein paar unverständliche Laute, die der Neuankömmling offenbar als Antwort interpretierte. Er ließ sich auf dem Hocker neben dem Polizisten nieder und bestellte ein Bier.
Eine Weile saß er schweigend da, doch als Knudsen den nächsten Klaren in sich hineinschüttete, sprach er ihn an. »Es scheint Ihnen nicht gut zu gehen!«
Der Polizist hätte beinahe aufgelacht. Der Frust der letzten Tage, der Schlafmangel, vor allem aber die Erinnerungen an Lars - sie alle hatten deutliche Zeichen in seinem Gesicht hinterlassen. Kein Wunder, dass man ihm seine schlechte Verfassung ansah.
Doch wie hatte Lars immer gesagt? Wer im Schlachthaus sitzt, soll nicht mit Schweinen werfen.
Der Fremde sah nicht aus, als ginge es ihm wesentlich besser. Die schmalen, ausgezehrten Züge und der struppige Vollbart ließen ihn wirken, als sei er frisch der Gosse entstiegen.
»Das braucht Sie doch einen Scheißdreck zu kümmern«, fuhr Knudsen den Kerl an. »Suchen Sie sich lieber einen anderen Gesprächspartner, den sie anschnorren können. Ich bin nicht…«
Weiter kam er nicht, denn plötzlich starrte der Mann ihm direkt in die Augen. Etwas in seinem Blick ließ den Polizisten verstummen.
»Sie jagen den Mörder von drei schwangeren Frauen, und es scheint, als würde es sich bei dem Täter um einen Geist handeln, denn er hinterlässt keine verwertbaren Spuren. Liege ich richtig?«
»Sie liegen gleich mit blutiger Nase auf dem Boden! Sind Sie von der Presse?«
Der Bärtige schüttelte den Kopf. »Nein! Ich bin dem Kerl auch auf der Spur. Er hat öfter zugeschlagen, als sie wahrscheinlich wissen. Überall auf der Welt!«
Der Fremde zog einige Schnellhefter aus einer Umhängetasche.
»Al Naziriva 1915… Buenos Aires 1926… Telawi 1937… Valdez 1948… Rom 1959… De Aar 1970… Madrid 1981…«
Bei jedem Ortsnamen knallte er einen Hefter auf den Tresen. Dann hielt er inne, holte tief Luft, als müsse er sich überwinden, und sprach weiter.
»… und jetzt Neumünster, wie ich befürchte.«
Knudsen blickte auf die verschiedenfarbigen Mappen und versuchte die Benommenheit beiseitezuschieben.
Madrid! Der Typ hat Madrid gesagt! Aber… aber das ist… das kann nicht…
Reiß dich zusammen. Das ist Irrsinn. Der Kerl will dich nur verarschen. Wahrscheinlich hat er irgendwo von Lars gehört und will dich darunter leiden lassen.
Aber warum sollte er das tun? Erpressung? Blödsinn. Mit der Geschichte seines Sohns ging er zwar nicht hausieren, aber sie war gewiss kein Geheimnis. Also, was dann?
»Wollen Sie damit sagen, dass ein und derselbe Mörder seit…« Er rechnete nach. »… seit 77 Jahren die ganze Welt bereist und schwangere Frauen ermordet?«
Er bedachte den Spinner mit einem schiefen Grinsen.
Dieser schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht!«
Für einen Augenblick war Knudsen erleichtert. Doch bereits bei den nächsten Worten des Fremden war dieses Gefühl dahin.
»Selbstverständlich tut er das nicht erst seit 77 Jahren. Höchstwahrscheinlich treibt er schon viel länger sein Unwesen, aber das kann ich nicht beweisen. Er begeht vier Morde! Jedes Mal Frauen, jedes Mal schwanger. Dann legt er eine elfjährige Pause ein, nach der sich das grauenhafte Spiel irgendwo auf
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