0968 - Ritter, Blut und Teufel
die Knie zittern.
Sie ging auf die Lache zu. Ihre Schritte waren klein. Die rote Flüssigkeit hatte einen großen Tropfen gebildet, der sich immer weiter vorschob.
Sie trat nicht hinein, sondern ging in die Hocke. Dabei stellte sie fest, daß das Zittern nicht aufgehört hatte. Der Strahl des Scheinwerfes fiel über sie weg, und Belinda Moore spürte die Wärme, die sich auf ihren Kopf und den Nacken konzentrierte.
Ihr Herz schlug schnell wie selten. Sie merkte den Druck in ihrem Magen. Das Zittern der Hände wollte nicht aufhören. Auf ihrem Rücken juckte es. Belinda traute sich nicht, die Hand zu bewegen und sich zu kratzen. Sie mußte jetzt Vorbild sein, und sie würde es auch in den folgenden Sekunden bleiben.
Der Gruppe hatte sie den Rücken zugedreht. So sahen nur wenig, wie sie den rechten Arm der Lache entgegenstreckte. Ihr Zeigefinger schaute wie eine Speerspitze nach vorn und tauchte ein in die Flüssigkeit.
Noch in derselben Sekunde zog sie ihren Finger zurück, als hätte sie einen Schlag bekommen und hielt ihn in das Licht.
Ihre Augen weiteten sich. Der Atem stockte. Für einen Moment wünschte sich die Lehrerin, weit weg zu sein, aber sie konnte sich nicht fortbeamen und mußte sich den Tatsachen stellen.
An der Fingerspitze klebte Blut!
Wie angenagelt saß die Frau in der Hocke, ohne richtig zu wissen, was sie in diesen langen Sekunden dachte. Ihr Kopf kam ihr plötzlich so leer vor. Alles wirbelte durcheinander. Es gelang ihr nicht, die Gedanken zu fassen. Dabei spürte sie, wie sehr sie diese Sitzhaltung anstrengte. Sie stützte sich ab, als sie wieder aufstand und noch in der Bewegung drehte.
Jetzt schaute sie wieder nach vorn.
Hinter der Absperrung standen die Kinder wie gemalt. Überragt noch von Mrs. Goldman.
Die Ausstellungsstücke im Hintergrund verschwammen, aber das lag nicht an ihnen, sondern an ihrem Blick und zugleich an ihrem Zustand.
Erst jetzt bemerkte sie, daß sie vergessen hatte, Luft zu holen. Das tat sie jetzt, aber es ging ihr dabei nicht viel besser. Dabei warteten die anderen auf eine Erklärung. Belinda selbst war bleich geworden, aber sie verlor nicht die Beherrschung und ging die zwei Schritte auf die Absperrung zu.
Erst dort blieb sie stehen, den rechten Zeigefinger in die Höhe gereckt. Jeder konnte den dunklen Fleck auf der Kuppe sehen. Es gab keinen, der daran vorbeischaute.
»Ist es Blut!« fragte Mrs. Goldman.
Belinda nickte. Sprechen konnte sie in diesem Augenblick nicht.
»Wo kommt es denn her?«
»Das weiß ich nicht, Mrs. Goldman…« Doch sie wußte es. Die Quelle mußte hinter dem Vorhang liegen. Nur hatte sich Belinda nicht getraut, dort nachzuschauen.
Benny hob den Arm. »Schauen Sie doch mal hinter dem Ritter nach. Vielleicht ist es da.«
»Mal sehen.«
»Das ist aber wichtig.«
Natürlich ist es wichtig, dachte Belinda. Du hast ja so recht, Junge, aber du mußt auch mich verstehen.
Ihr Zögern paßte der Mutter nicht so recht. »Oder soll ich es an Ihrer Stelle tun, Miß Moore?«
»Nein, nein, das ist nicht nötig.« Belinda riß sich zusammen. Sie war verantwortlich, durfte sich aber auf keinen Fall lächerlich machen. Das wäre fatal gewesen. Dann hätten die Kindern auch den letzten Respekt vor ihr verloren.
»Ist gut«, sagte sie schließlich. Jeder konnte hören, welch eine Überwindung es sie kostete. »Ich werde nachschauen. Geben Sie bitte auf die Kinder acht, Mrs. Goldman.«
»Das mache ich gern.«
Belinda drehte sich wieder um. Noch immer wünschte sie sich weit weg. Das hier war Streß, obwohl nichts passierte. Aber es war doch etwas passiert. Die Lache auf dem alten Parkett hatte etwas zu bedeuten.
Sie wollte auf keinen Fall hineintreten, deshalb schlug sie auch einen kleinen Bogen und näherte sich dem gerafften Vorhangteil von der linken Seite her.
Er wurde von keiner Kordel zusammengehalten. Der Stoff war nicht nur dick und warf zahlreiche Falten, er roch auch sehr alt. Der Staub vieler Jahre hatte sich in ihm verfangen und ihm diesen Geruch gegeben.
Belinda faßte den Stoff an. Weich schmiegte er sich gegen ihre Handfläche. Er fühlte sich wirklich gut an. Sie wollte nicht daran denken, was dahinter lag.
Aber sie mußte es herausfinden. Nach dem ersten Schritt folgte der zweite. Belinda schaute zu Boden. Das Blut war durch die Lücke geflossen, die es zwischen dem Ende des Vorhangs und dem Boden gab.
Sie brauchte ihn nicht mal zur Seite zu schieben, denn hinter ihm gab es noch Platz, da er von der eigentlichen
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