0974 - Monsterzeit
es für mich nur eine Möglichkeit.«
Greta Kinny blieb ganz ruhig, als sie fragte: »Du willst mich erschießen?«
»Ja, das werde ich. Aber zuvor will ich noch von dir wissen, weshalb du im Rollstuhl sitzt und in der Nacht durch den Wald gewandert bist. Was ist mit dir? Was spielst du mir vor?«
»Gar nichts«, erklärte sie. »Ich lebe praktisch meine zwei Leben. Zum einen als Gesunde, zum anderen als Gelähmte. Ist das denn so schwer zu verstehen?«
»Für mich schon. So etwas ist ein-, malig.«
»Das mag durchaus sein.«
»Und wie ist es dazu gekommen?« erkundigte er sich flüsternd. »Los, raus mit der Sprache!«
Über Gretas Lippen huschte ein verloren wirkendes Lächeln. Es gefiel ihm ebensowenig wie der Glanz in ihren Augen. Er hätte eigentlich die nackte Angst erwartet, aber dieser Ausdruck deutete wahrlich nicht darauf hin. »Dazu gekommen?« wiederholte sie leise. »Ich denke nicht, daß du es begreifen wirst.«
»Du kannst es trotzdem versuchen.«
»Ja, aber ich…«
»Rede!«
Sie hob die Augenbrauen. Cameron ärgerte sich über die Geste, denn sie machte ihm klar, daß sich Greta wie eine Siegerin fühlte. Eigentlich hätte es umgekehrt sein müssen, und das paßte ihm überhaupt nicht in den Kram. »Ich habe es gelernt, mit den Kräften des Waldes umzugehen. Ich bin ein Teil von ihm. Ich liebe ihn. Ich kann ihn fühlen, ich kann ihn atmen. Ich weiß über ihn Bescheid. Er liebt mich, und ich liebe ihn. Er kann mich nicht leiden sehen. Ich habe vieles durchlitten, nachdem ich angeschossen worden bin. Ich bin gelähmt… Aber auch ein solches Leben hat immer zwei Seiten, eine positive und eine negative. Ich habe nach der positiven geforscht und sie auch herausgefunden. Ich vertraute mich dem Wald an. Obwohl ich hier sitze, bin ich ein Teil von ihm, und er gab mir die Kraft zurück wieder gehen und mich normal bewegen zu können.«
»Nur in der Nacht, wie?«
»So ist es.«
Der Killer schüttelte den Kopf. »Das mag glauben, wer will. Ich jedenfalls nicht.«
»Dann hast du ein Problem«, erklärte sie gelassen.
»Es ist die Frage, wer von uns beiden das größere Problem hat. Aber ich gebe dir recht. Mit diesem verdammten Wald ist etwas nicht in Ordnung. Ich habe es leider erleben müssen. Aber wir sind hier nicht im Wald, sondern in deinem Haus. Was immer du als andere Kraft ansiehst, sie hat hier keinen Einfluß.«
Gretas Augen weiteten sich. »Wie kannst du das sagen?« flüsterte sie.
»Es ist die Macht der alten Götter. Sie haben einen großen Einfluß, einen sehr großen sogar. Ich garantierte dir, du steckst in der Falle, nicht ich.«
»Aber ich habe die Waffe!« erklärte er grinsend.
Greta Kinny blieb gelassen. »Auch wenn du mich erschießt, hast du nicht gewonnen. Oder kannst du dir nicht vorstellen, daß sich der Wald rächen wird? Wer ihm etwas nimmt, muß dafür bezahlen.«
»Nein«, sagte Cameron leise und schüttelte den Kopf. »Das mag auf viele Menschen zutreffen, auf mich allerdings nicht. Ich habe bisher jeden Job durchgeführt, und ich werde auch diesen beenden. Darauf kannst du dich verlassen.«
Sie hob die Schultern.
Und beide hörten sie das Geräusch des Motors. Draußen fuhr ein Wagen vor.
Plötzlich wurde Cameron nervös. Man sah es seinen Augen an, die sich heftiger bewegten. »Verflucht noch mal, wer ist das?«
»Es ist Ginette.«
»Weiter!«
»Sie ist meine Freundin. Sie pflegt mich tagsüber. Sie bleibt bis zum Abend.«
Cameron mußte sich blitzschnell entscheiden. »Gut, wenn das so ist, wird auch sie sterben.«
»Warum?«
»Ich kann keine Zeugen gebrauchen.«
»Muß sie dich denn sehen?«
»Was heißt das?«
»Du kannst dich verstecken.«
Perry Cameron wußte noch immer nicht, wie er der Zwickmühle entrinnen sollte. Damit hatte er nicht gerechnet. Plötzlich war sein großartiger Plan schon zur Hälfte zusammengebrochen. Eine zweite Person hatte er in sein Kalkül nicht mit einbezogen. Wenn er sie tötete, würde man sie vermissen. Zwei Leichen hinterließen immer mehr Spuren als eine. Diese Ginette war unbeteiligt, aber es ging um die Sache, und da konnte er keine Rücksicht nehmen.
Der Wagen war geparkt worden. Sie hörten, wie Ginette die Tür zuschlug. In diesem Augenblick hatte er die Lösung gefunden. »Schick sie weg!« flüsterte er, »Schick sie einfach weg. Sag ihr, daß du heute allein bleiben willst.«
»Und dann?«
»Tu es!« keuchte der Mann sie an. »Oder willst du, daß es zwei Tote gibt?«
»Nein, das will ich
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