0976 - Die Leichen der schönen Charlotte
Hände vor ihr Gesicht. »Bin ich denn verrückt geworden? Bin ich denn wahnsinnig?« Sie kam mit sich selbst nicht mehr zurecht, mußte sich setzen und nahm auf einem Stuhl Platz. Minutenlang blieb sie dort hocken. Sie kämpfte gegen ihre eigene Furcht an, denn das Gefühl der Bedrohung verstärkte sich.
Der letzte Mord war zuviel gewesen.
Jemand kümmerte sich intensiv darum. Er war noch fern, aber sie konnte es trotzdem spüren. Es floß einfach auf sie zu und war nicht zu stoppen. »Lilith!« flüsterte sie. »Lilith - du mußt achtgeben. Du mußt mich beschützen…«
Mehrmals wiederholte sie die Sätze und spürte dabei, daß es ihr guttat. Die alte Kraft kehrt zurück.
Plötzlich sah sie wieder Land. Sie fühlte sich mutig, der Anfall war vorbei, und als sie die Hände sinken ließ, hatte ihr Gesicht die Starre verloren und das alte Lächeln wieder zurückgefunden.
Tief holte sie Atem.
Dann stand sie auf.
Der Erbauer des Hauses hatte einen Waschraum eingerichtet. Die Dusche gehörte zwar nicht zum normalen Standard, aber sie tat ihre Pflicht. Das Kleid hatte sie in die Ecke geworfen, als sie unter dem lauwarmen Regen stand, die Augen geschlossen hielt und ihre Hände ständig über den Körper glitten, wobei sie keine Stelle ausließ.
In ihren Gedanken formte sich das Bild einer wunderschönen Frau, die ihre Welt wie ein Gemälde beherrschte. Charlotte kam sich auf der Bühne des Lebens wie eine Statistin vor. Heldin war eine andere, das war Lilith.
Sie trocknete sich ab, streifte einen dünnen Slip über und betrat wieder ihren größeren Raum, wo in einer Ecke auch die Liege stand, die Charlotte nie hochklappte.
Bevor sie sich niederlegte, löschte sie das Licht. Die Trümmer der Puppe ließ sie auf dem Sofa liegen. Jetzt war der Raum eingehüllt von ungewöhnlichen Schatten. Sie waren nicht unbedingt schwarz, sondern tendierten mehr zu einem Grau hin.
Dunkel genug für sie.
Charlotte legte sich auf den Rücken. Sie starrte gegen die Decke. Ihre Gedanken drehten sich um Lilith. Innerlich betete sie um ihren Schutz, den konnte sie gebrauchen, weil sie genau wußte, daß die Träume in dieser Nacht zurückkehren würden.
Das mußte einfach so sein, denn so war es immer gewesen nach einem Tag, an dem sie wieder einen Menschen umgebracht hatte. Die Vergangenheit ließ sie einfach nicht los. Sie war zu prägend gewesen und hatte sich mit ihrer Gegenwart verflochten.
Charlotte schlief ein…
***
Die Spiegel zerbrachen unter dieser urwüchsigen Kraft und wurden somit zu tödlichen Waffen.
Das war mir klar, das jagte durch meinen Kopf. Aber auch die Gedanken an Flucht und Sicherheit.
Nur drehten sie sich nicht allein um mich, denn in meiner Nähe befand sich noch jemand.
In der Nähe?
Ja und nein. Mit Schrecken stellte ich fest, daß sich Doreen Sanders zu weit von mir entfernt befand.
Ich kam nicht schnell genug an sie heran, um sie zu Boden zu reißen.
Deshalb schrie ich ihr eine Warnung zu und tauchte gleichzeitig weg. Am liebsten hätte ich mich unter das Bett verkrochen, was leider nicht möglich war, denn es stand auf dem Boden, und da gab es zwischen den beiden Ebenen keinen Spielraum.
Bei mir hatte es nicht mal eine Sekunde gedauert, um den Gedanken zu vollenden. Noch während des Falls wirbelten die Scherben durch die Luft. Ich bekam ein Bild präsentiert, das kaum zu glauben war. Da schien sich die Welt zu verengen. Sie war plötzlich zu einer flirrenden, blitzenden und auch tödlichen Umgebung geworden, durch die ein mörderischer Schrei klang, denn Doreen war erwischt worden.
Sie stand tatsächlich auf den Beinen, ohne die tödliche Gefahr begriffen zu haben. Den verdammten Button hielt sie noch fest. Vielleicht erhoffte sie sich durch ihn Hilfe, das Gegenteil war der Fall, denn Lilith schlug grausam zu.
Sie, das heißt ihr Gesicht, zeigte sich in den Teilen der Spiegelscherben. Wie Sensen fetzten sie durch den Raum. Sie drehten sich, als wollten sie zu rotierenden Messern werden, und sie erwischten das Ziel mit vorprogrammierter Sicherheit.
Doreen wurde gleich mehrmals getroffen.
Ihr Körper war die Zielscheibe. Blut sprudelte plötzlich in die Höhe, andere Scherben durchtrennten keine Haut oder Adern, blieben aber im Körper stecken, und ich lag auf dem Boden, hatte mich klein gemacht, hätte dabei schreien, heulen oder toben können, weil es mir nicht gelungen war, Doreen in Sicherheit zu bringen.
Nur schreien hörte ich sie.
Und das reichte leider aus, um Bescheid zu
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