098 - Der Kerkermeister
das Zimmer. Sie setzte sich und blickte auf die Uhr. Abi Flindt mußte jeden Augenblick eintreffen. Sie hatte mit ihm vereinbart, daß er sie gegen zwanzig Uhr ablösen sollte.
Sie steckte sich eine Zigarette an. Als sie zur Hälfte aufgeraucht war, tauchte Abi Flindt auf.
Auf seine Art sah Abi Flindt recht gut aus, wenn man etwas für hochgewachsene blondhaarige Männer übrig hatte. Er war fünfundzwanzig, und sein Gesicht war recht hübsch. Die kalt blickenden blauen Augen zerstörten aber den sanften Eindruck.
„Hallo", grüßte er knapp. „Wie geht es Dorian?"
„Etwas besser. Er schläft. Laß ihn nicht aus den Augen. Ich fürchte, daß Luguri vielleicht einen Angriff wagt. Sicherlich weiß er bereits, wie es um Dorian steht."
Der wortkarge Däne nickte flüchtig, öffnete die Tür und blickte rasch ins Krankenzimmer.
„Ich fahre jetzt in die Jugendstilvilla", meinte Coco. „Sollte sich Dorians Zustand ändern, dann rufe mich bitte sofort an."
„Das werde ich tun."
Coco warf Dorian noch einen Blick zu, drehte sich um und ging mit kurzen Schritten den Gang entlang. Sie sehnte sich nach einem Drink und ihrem Bett.
Vor dem Hospital blieb sie stehen und sah sich nach einem Taxi um. Sie mußte nicht lange warten. Sie winkte den Wagen heran und stieg ein.
„Baring Road", sagte Coco zum Fahrer. Dann ließ sie sich erleichtert zurücksinken.
„Welche Baring Road, Miß?" fragte der Fahrer. Die Frage war nicht unberechtigt, da es in London drei Baring Roads gab.
„Grove Park", antwortete Coco und schloß die Augen.
„In Ordnung Miß", brummte der Fahrer und fuhr los.
Im Wagen war es angenehm warm. Coco nickte für einige Sekunden ein. Sie öffnete die Augen und blickte aus dem Fenster.
Der Regen war stärker geworden. Das Taxi fuhr gerade über die Themse.
Doch plötzlich war sie hellwach! Deutlich spürte sie eine dämonische Ausstrahlung, die rasch stärker wurde. Die ehemalige Hexe der Schwarzen Familie beugte sich vor. Aber die Ausstrahlung kam nicht vom Fahrer.
Das Taxi ließ die Lambeth Bridge hinter sich und fuhr am Lambeth Palace vorbei.
Die dämonische Ausstrahlung war verschwunden, doch Coco blieb mißtrauisch. Irgend jemand hatte sie gesucht und sich dann zurückgezogen. Sie fürchtete, in eine Falle zu laufen.
„Bleiben Sie stehen!" rief Coco dem Fahrer zu.
Der Taxifahrer gehorchte sofort. Er bremste ab und fuhr an den Randstein heran. Coco reichte ihm eine Banknote.
„Stimmt schon", sagte sie und sprang aus dem Taxi. Mißtrauisch blickte sie sich um. Sie stand auf der St. Georges Road, in der Nähe der Bahnstation Elephant & Castle. Zwei junge Burschen kamen ihr entgegen, blickten sie interessiert an und wechselten einen raschen Blick. Coco ging an ihnen vorbei zur U-Bahn-Station. Unter den vielen Menschen fühlte sie sich sicherer.
Mit der U-Bahn fuhr sie zur Station London Bridge. Dort stieg sie aus und betrat den Bahnsteig der Vorortlinie. In drei Minuten mußte ein Zug eintreffen, der nach Grove Park fuhr.
Immer wieder blickte sie sich um. Doch nichts Verdächtiges war zu bemerken. Sie kaufte eine Evening News und blätterte sie durch. Da kam schon ihr Zug.
Absichtlich stieg sie in ein Abteil, in dem zwei ältere Männer und eine junge Frau saßen.
Erleichtert atmete sie auf, als der Zug anfuhr. In fünfzehn Minuten würde sie in Grove Park sein.
Die beiden Männer würdigten sie keines Blickes. Beide waren in ihre Zeitungen vertieft, während die junge Frau angespannt in die Dunkelheit starrte.
In Hither Green stiegen die drei aus. Coco war nun allein im Abteil. Das Gefühl, daß etwas Unheimliches auf sie lauerte, wurde immer stärker.
Der Zug verließ langsam den Bahnhof. Da spürte Coco wieder die dämonische Ausstrahlung. Diesmal war sie ganz nahe.
Blitzschnell sprang sie hoch und griff nach der Tür. Aber sie ließ sich nicht öffnen. Der Zug fuhr jetzt rascher. Verzweifelt blickte sich Coco um. Ihr Blick fiel auf die Notbremse. Sie griff nach ihr und riß daran, doch sie konnte den Hebel nicht herunterreißen. Nun hatte der Zug den Bahnhof verlassen.
Coco verfluchte sich, weil sie in den Zug eingestiegen war. Der unbekannte Dämon war ihr gefolgt. Sie hatte ihn nicht abgeschüttelt. Und jetzt saß sie in der Falle.
Auf dieser Strecke wurden nur Wagen eingesetzt, deren Abteile nicht untereinander verbunden waren. Jedes Abteil konnte direkt vom Bahnsteig erreicht werden.
Verzweifelt versuchte sie, ein Fenster zu öffnen. Doch auch das gelang ihr
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