098 - Der Kerkermeister
gemacht, daß Dorians Tod bevorstand.
„Erschrick nicht", hauchte er weiter. „Coco, sorge dich nicht um mich. Ich bin nicht tot. Ich lebe!" Überrascht beugte sich Coco weiter vor. Diese Worte hatte sie schon einmal gehört. Vor zwei Tagen. Das geheimnisvolle Telefongespräch… Dorian war bei ihr gewesen, und das Telefon hatte geläutet. Sie hatte abgehoben und sich gemeldet, und da hatte sie diese Worte gehört. Es war Dorian gewesen, der mit ihr gesprochen hatte. Doch wie war das möglich gewesen, wenn er sich gleichzeitig bei ihr im Zimmer befunden hatte? Welche Teufelei steckt dahinter?
„Marzi!" schrie Dorian laut. „Franca Marzi, du mein Freund, du darfst nicht…" Er senkte die Stimme. „O-Yuki." Der Dämonenkiller beruhigte sich langsam. Sein Atem ging jetzt regelmäßig.
Franca Marzi war Dorian Hunters Freund in seinem Leben als Michele da Mosto gewesen. Den Namen O-Yuki hatte Coco aber nicht nie gehört.
Der Dämonenkiller fiel in tiefen Schlaf. Coco wischte wieder den Schweiß von seinem Gesicht. Dann verließ sie das Zimmer. Auf dem Korridor rauchte sie hastig eine Zigarette.
McClusky kam rasch näher. Hinter ihm ging eine hübsche Krankenschwester, die einen fahrbaren Wagen vor sich herschob.
„Dorian schläft", sagte Coco.
„Tut mir leid. Ich muß ihm eine kreislaufstärkende Spritze geben", stellte der Arzt fest.
Doch Dorian wachte nicht auf, als ihm der Arzt die Spritze gab. Coco setzte sich wieder an das Bett. Der Dämonenkiller schlief drei Stunden lang. Dann schlug er langsam die Augen auf und blickte Coco durchdringend an.
„Wo bin ich?" fragte er stockend.
„Im Marble Hill Hospital. Wie fühlst du dich, Dorian?"
„Müde und schwach, als sei ich gelähmt. Ein Glas Wasser bitte!"
Coco reichte ihm ein Glas, und Dorian leerte es gierig. Dann schloß er die Augen.
„Danke", flüsterte er. „Ich will unseren Sohn sehen. Hast du mich verstanden, Coco?"
„Du wirst ihn sehen, Dorian. In ein paar Tagen bist du wieder gesund. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen."
„Ich will unseren Sohn sehen", sagte er nochmals. „Ich muß fort. Ich habe eine Verabredung mit Unga und Magnus Gunnarsson. Es ist wichtig. Ich muß nach…" Er brach ab und strich sich mit der Zunge über die spröden Lippen.
„Wohin mußt du?" fragte Coco sanft.
„Ich gehe für immer fort, Coco. Deshalb will ich noch einmal unseren Sohn sehen."
Da ist es wieder, dachte Coco verbittert. Dorian war bei seinem Entschluß geblieben. Er wollte für immer verschwinden, sich auf die Suche nach Hermes Trismegistos' Macht begeben. Sie hatte gehofft, daß er von diesem Entschluß abkommen würde, doch sie hatte sich getäuscht.
„Ich werde ihn dir zeigen", meinte Coco, obwohl sie davor zurückschreckte. Das Risiko war viel zu groß. Doch sie dachte an die Worte des Arztes. Sie durfte ihn nicht aufregen. Sie mußte zustimmen, ihn sprechen lassen.
„Dann ist es gut", flüsterte Dorian erleichtert.
„Versuch zu schlafen, Dorian."
Der Dämonenkiller schüttelte den Kopf. „Ich will nicht schlafen. Ich hatte entsetzliche Alpträume. Alles vermischte sich. Hekate kämpfte gegen Faust, und Franca Marzi mischte sich ein. Alles war so verwirrend, so unreal! Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schienen zu verschmelzen. Es war grauenvoll."
„Denk nicht daran, Dorian."
„Ich erinnerte mich an einige längst vergessene Erlebnisse", sprach Dorian weiter. „An Begebenheiten, die viele hundert Jahre zurückliegen. Ich war wieder Michele da Mosto."
„Du nanntest einen Namen, Dorian. Hörte sich irgendwie japanisch an."
Der Dämonenkiller blickte Coco neugierig an. „Wie war der Name?"
„O-Yuki, wenn ich richtig gehört habe."
„O-Yuki", flüsterte Dorian. „Sie war fünfundzwanzig Jahre lang meine Frau."
„Da mußt du also in Japan gewesen sein. Wann war das?"
„Als Michele da Mosto", antwortete Dorian. „Ich lebte mit O-Yuki bis zu meinem Tod im Jahr 1610."
„Weshalb gingst du damals nach Japan?"
„Ich hatte von Franca Marzi einen Hilferuf bekommen. Deshalb fuhr ich nach Japan. Und dort lernte ich O-Yuki kennen - was Schnee heißt. Sie war…" Plötzlich runzelte Dorian die Stirn. „Seltsam", sagte er fast unhörbar, „daß ich mich jetzt an sie erinnere."
„Wie meinst du das?"
Doch Dorian antwortete nicht. Er schloß langsam die Augen und atmete schwer. Ein paar Minuten später war er eingeschlafen.
Coco blieb noch eine halbe Stunde neben seinem Bett sitzen. Dann stand sie auf und verließ
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