0980 - Die Rächerin
festhielt.
»Wer hat ihn dir gegeben?« fragte ich.
»Eine Frau.«
»Wie sah sie aus?«
»Dunkelhaarig. War ziemlich klein.«
Ich deutete mit dem Daumen über meine Schulter hinweg. »Gehörte sie zu der Truppe dort?«
»Ist möglich, kann ich aber nicht genau sagen. Sie – sie stammte aus Asien.«
»Sehr gut. Und weiter?«
»Nichts weiter. Sie gab mir den Zettel und zeigte mir, wo ihr euch aufhaltet.«
»Das war vor…?«
»Zwei Minuten.«
Ich blickte mich um. Es war vergebens, denn ich sah niemanden, der auf diese Beschreibung gepasst hätte. Das Spiel war schon gut eingefädelt worden. »Du kannst gehen«, sagte ich, und Suko gab ihm die Maske zurück.
Der Clown machte, dass er wegkam. Er schimpfte noch, aber er drehte sich nicht mehr um. Die zahlreichen Luftballons wehten schräg über ihm und sahen aus, als wollten sie ihn in den Himmel ziehen.
»Was steht auf dem Zettel?« Ich gab ihn ab. Suko las, schüttelte den Kopf, las noch einmal und murmelte dann: »Geisterbahn.«
»Bingo.«
»Das ist ein Ding. Was sollen wir denn dort?«
»Wir werden es herausfinden, wenn wir in sie hineingefahren sind. Die Falle ist nicht neu, aber wirkungsvoll und für ein gewaltsames Ableben sehr stimmungsvoll.« Ich hob die Schultern. »Dann wollen wir mal sehen, welche Geister uns in der Bahn erwarten.«
»Bestimmt keine echten. Und was ist mit Shao?«
Darauf wusste ich auch keine Antwort…
***
Shao war noch immer nicht sicher, ob sie das Richtige tat. Trotz ihrer Zweifel hatte sie sich auf den Weg gemacht, denn etwas anderes kam nicht in Frage. Jemand wollte etwas von ihr, und dieser Jemand lockte sie dorthin, wo er sich auskannte.
Sie dachte auch daran, dass es zahlreiche Möglichkeiten gab, einen anderen verschwinden zu lassen, wenn er durch die schlauchähnlichen Gänge einer Geisterbahn fuhr. Da war sie praktisch ungeschützt. Aus jedem Winkel konnten die Killer erscheinen und Leben auslöschen.
Shao versteifte sich, obwohl sie es nicht wollte, und sie ging mit marionettenhaften Schritten weiter, den Blick nach vom gerichtet, das Kribbeln im Nacken und den dünnen Eisschauer auf dem Rücken.
Shao wusste, wie die Frauen aussahen. Und sie glaubte nicht, dass die anderen aus dieser Truppe sich stark von ihren beiden Kidnappern unterschieden. So hielt sie auf dem Weg zur Geisterbahn die Augen offen, aber zu Gesicht bekam sie keine von ihnen.
Seit Alters her ziehen gerade Geisterbahnen immer wieder ein bestimmtes Publikum an. So war es auch hier. Vor dem breiten Bau hatten sich zahlreiche Menschen versammelt und starrten die grellbunten und auch düster gemalten Monster an, die sich auf der Fassade ein Stelldichein des Schreckens gaben.
Es war alles vertreten, was im Gruselland Rang und Namen hatte.
Der Vampir, der Zombie, der Werwolf, die Mumie und auch Mutationen zwischen Mensch und Tier. Sie alle glotzten nach unten, als wollten sie sich jeden Moment auf die Zuschauer stürzen.
Das Kassenhaus befand sich an der linken Seite. An ihm vorbei führte der Rundkurs der Schienen auf eine zweiflügelige Tür zu, die vom Bug der kleinen Wagen aufgestoßen wurde.
Vor der Kasse hatte sich eine Menschenschlange gebildet. Über sie hinweg wehte die aus Lautsprechern dringende, düstere Musik. Totenklänge, dumpf und drohend, als wäre der Leibhaftige dabei, auf einer alten Orgel in die aus Knochen bestehenden Tasten zu schlagen. Ab und zu mischten sich auch schrille Schreie in die Klänge oder ein knarrendes Lachen. Wie von einem Dämon stammend, der in einer finsteren Höhle hockte und auf seine Opfer lauerte.
Die Geisterbahn bestand aus zwei Etagen. Über dem Dach der ersten fuhren die Besucher wieder ins Freie, um sich von den Schrecken zu erholen.
Sie brauchten keine Laserbrillen aufzusetzen, um sich von virtuellen Welten gefangen nehmen zu lassen, man produzierte in dieser Geisterbahn den Schrecken noch nach alter Väter Sitte.
Nachdem sich Shao den ersten Eindruck verschafft hatte, stellte sie sich an. Vor ihr stand ein Vater mit seinem Sohn. Der Kleine fragte immer wieder, ob die Gestalten auf der Frontseite auch lebendig in der Geisterbahn lauerten, doch darauf wusste auch der Vater keine Antwort. Er hob nur die Schultern.
Die Musik verstummte. Ein wahnsinniges Lachen hallte über den Vorplatz. Es wurde von einer düster klingenden Stimme abgelöst, die den puren Schrecken ankündigte und dann aufzählte, wie viele Herzinfarkte es schon bei den Besuchern der Geisterbahn gegeben hatte. Nicht alle
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