0980 - Die Rächerin
aussah, wie auf den Plakaten, dann war sie eine gefährliche, wilde und zugleich rassige Frau, deren schmales Gesicht etwas Katzenhaftes an sich hatte. Man konnte sie auch als Tigerin ansehen. Volle Lippen. Augen, grün wie Jade und dabei kalt wie Gletschereis, so schaute sie über ihre Truppe hinweg und auf die Zuschauer nieder. Zwar standen ihre Augen ein wenig schräg, aber eine reinrassige Asiatin war sie nicht.
Das Haar hatte eine undefinierbare Farbe. Ein rötliches Blondbraun. Es hing bis zu den Mundwinkeln, war sehr glatt und wurde an der Stirn von einem schmalen Band gehalten.
Bewaffnet war sie mit einem Schwert, auf dessen Klinge sich Blutspritzer abmalten. Sie schaute an ihrer Waffe vorbei, als wollte sie mit ihrem tödlichen Blick jeden Zuschauer beeindrucken.
Zur Baracke hin gab es einen Aufgang. Man musste über eine Holztreppe gehen und sich dann nach rechts wenden, um das Kassenhäuschen zu erreichen. Es war ebenso vernagelt wie der Eingang, durch den der Zuschauerraum erreicht werden konnte.
»Und jetzt ist der gute Rat mal wieder teuer«, sagte Suko, als er die Schultern hob. »Ich frage mich, ob sie Shao tatsächlich hergeschafft haben.«
»Falls sie sie haben.«
»Deine Hoffnung in allen Ehren, auch ich traue Shao einiges zu, aber wenn ich mir die Frauen da oben anschaue, dann wird sie es verdammt schwer gehabt haben.« Suko sprach mit normaler Stimme, aber ich wusste, dass er unter dem Verschwinden seiner Partnerin litt.
Uns gefiel das alles nicht. Wir kamen uns vor wie Marionetten, die geführt wurden. Sicherlich hatte am frühen Morgen noch nicht festgestanden, dass die abendliche Show ausfiel. Da hatte die Truppe rasch reagiert. Nur – was brachte ihnen das? Wenn wir das Gelände verließen, war auch für sie alles umsonst. Da ich die Frauen nicht als so dumm einschätzte, dachte ich daran, dass es irgendwo weiterging und wir nur sinnbildlich gesehen eine weitere Tür aufstoßen mussten.
»Aufbrechen willst du den Zugang bestimmt nicht – oder?«
»Unsinn, Suko.«
»Was denn?«
»Ich weiß es nicht. Lass uns den Bau mal umrunden. Schon einmal wurde mir eine Nachricht zugesteckt. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht dabei bleibt.«
»Optimist.«
»Wie sollen sie uns sonst an der langen Leine führen? Sie wollen uns, Suko, und ich gehe davon aus, dass sie uns keine Kugel hinterrücks in den Rücken schießen. Die sind anders. Das sind Kämpferinnen. Die können im normalen Leben ihre Show nicht ablegen. Wir werden so sterben sollen, wie es auch bei Shimada der Fall gewesen ist. Und zwar durch das Schwert. Was bei Yakup und Eva geklappt hat.«
Suko stimmte mir zu, meinte aber dann: »Wir hätten doch lieber die Krone der Ninja mitnehmen sollen. Als Unsichtbarer hat man da mehr Chancen.«
»Willst du zurück und sie holen?«
»Auf keinen Fall.«
Wie ich es auch drehte und wendete, ich ging immer wieder davon aus, dass es uns nichts brachte, wenn wir versuchten, in diesen Holzbau einzubrechen. Die Action-Girls würden kaum den Fehler begehen und sich dort aufhalten.
»Wohin?«
Ich wollte Suko schon eine Antwort geben, als über uns ein zackiger Schatten fiel. Er stammte von zahlreichen Luftballons, die jemand hielt, den ich kannte.
Es war der Clown, der mir schon einmal eine Nachricht zugesteckt hatte. Jetzt war er wieder da und trat dabei als Luftballon-Verkäufer auf.
»Hallo…« Trotz des Wortes klang die Stimme hinter der Maske mit dem breiten aufgemalten Mund wenig lustig. Er würde mir diesmal auch nicht entwischen, das stand fest. Ich legte eine Hand auf seine rechte Schulter, und zwar so hart, dass er in die Knie sackte.
»He, was soll das?«
»Wenn du ruhig bist und deine Maske abnimmst, passiert dir nichts.«
»Verdammt, ich habe euch nichts getan.«
Suko wollte nicht länger warten, bis sich der Clown rührte. Er fasste mit beiden Händen zu und zerrte ihm die Maske vom Kopf.
Ein schweißnasses, junges Gesicht schaute uns an. Der Mann war höchstens zwanzig und hatte mit einem der Action-Girls keine Ähnlichkeit.
»Seid ihr jetzt zufrieden?« keuchte er. Seine Stimme hatte die ersten Zuschauer angelockt, die stehen blieben und gafften.
»Was willst du von uns?« fragte ich. »Ich soll euch etwas geben.«
»Wieder einen Zettel.«
»Klar.« Er holte ihn aus der Tasche seiner roten Pumphose hervor.
»Hier, das ist er.«
Diesmal war der Zettel gefaltet und nicht zusammengeknüllt. Ich sah ihn mir an und las die Nachricht, während Suko den Knaben
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