0981 - Tränenjäger
gesamten Körper ausgebreitet und ihn in ein widerwärtiges, gelblich-graues Etwas verwandelt.
Für einen kürzen Moment spürte Domingo, wie sein Magen zu rebellieren drohte. Der Priester schloss kurz die Augen und stieß ein bellendes Würgen aus.
Dann gelang es ihm endlich, die Fassung zurückzugewinnen und so würdevoll, wie es ihm unter den gegebenen Umständen möglich war, trat er an das Bett des Verstorbenen, um seine gottgegebene Pflicht zu erfüllen und ihm den letzten Segen zu erteilen.
Als er später schwer atmend zurück auf den Flur trat, wartete Delgado dort auf ihn.
»Ich habe dich gewarnt, Francisco«, tadelte er ihn.
Domingo war kalkweiß, dennoch lächelte er matt. »Ich habe getan, was ich tun musste«, gab er zurück.
Sie zogen sich in die Privaträume des Arztes zurück, wo dieser eine dickbauchige Flasche auf den Tisch stellte, deren Inhalt zweifellos hochprozentiger Natur war.
Domingo wusste, dass sein Freund dem einen oder anderen Schluck nicht abgeneigt war, aber diesen Umstand zählte er zu den lässlichen Sünden.
Jetzt könnte ich, weiß Gott, ebenfalls einen guten Schluck vertragen , dachte der Priester beim Anblick der Flasche, obwohl er Hochprozentiges verabscheute. Als hätte er seine Gedanken gelesen, pflanzte Delgado zwei Gläser auf dem Tisch auf und goss ihnen großzügig ein.
Domingo lächelte matt.
»Hast du eine Erklärung für das, was ich da gerade gesehen habe?«, fragte er den Arzt. Dieser beförderte den Inhalt des Glases an seinen Bestimmungsort und schmatzte genießerisch, bevor er antwortete.
»Ich bin nicht klüger als gestern«, ließ er Domingo wissen. Hastig goss er sich einen zweiten Schnaps ein. Langsam beugte er sich im Stuhl nach vorne und blickte den Priester ernst an. »Aber eines weiß ich, Francisco: Was immer der arme Teufel hatte, ich habe eine Heidenangst davor! Wir sollten seinen Körper auf Eis legen und schleunigst die Behörden einschalten.«
Domingo nickte langsam. Er hatte kein allzu großes Vertrauen in die stationierten Soldaten, aber Delgado hatte natürlich recht.
Der Priester musterte seinen alten Freund einen Moment lang schweigend, dann schob er wortlos sein geleertes Glas über den Tisch. Delgado verstand und schenkte nach.
»Veranlasse bitte alles nötige«, bat Domingo. »Ich möchte keine Zeit verlieren!«
Nachdem er auch das zweite Glas geleert hatte, stemmte sich der Priester hoch und verabschiedete sich von seinem Freund.
Noch ahnte er nicht, was die Nacht für ihn bereithalten sollte.
***
Ein dunkler Schatten bewegte sich zwischen den Bäumen. Er schien das Anwesen förmlich zu belauern. Ganz so, als warte er auf den richtigen Moment, um sich heranzupirschen.
Pedro blickte durch die heruntergelassenen Rollladen in Richtung Dschungel. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn.
»Was geht da draußen vor?«, hörte er eine weibliche Stimme hinter sich.
»Bleib hinten, Danita«, wies Pedro die Köchin des Anwesens an, ohne sich dabei umzudrehen. Er hatte sie an ihrer Stimme erkannt.
Seitdem die Monster den Patron entführt hatten, verschanzten sich die menschlichen Angestellten Don Antonios im Haupthaus. Niemand von ihnen hatte den Mut gehabt, sich noch einmal ins Freie zu begeben.
»Ich weiß es nicht«, fügte Pedro an. »Irgendetwas ist jedenfalls dort draußen!«
Er wollte die Frau nicht beunruhigen, andererseits konnte er die Wahrheit nicht verheimlichen. Früher oder später würde sie es ohnehin erfahren. Auch an den anderen Fenstern des Hauses standen immerhin Menschen, die das Geschehen dort draußen aufmerksam beobachteten.
Pedro wollte noch etwas anfügen, doch in jenem Moment löste sich die dunkle Gestalt endlich aus den Schatten der Bäume, um ins Freie zu treten.
Der Patron!
Als Pedro die Gestalt von Don Antonio Álvarez erkannte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Niemals hätte er damit gerechnet, den Zuckerbaron lebend wiederzusehen!
Aber da war er tatsächlich. An seiner Rückkehr bestand kein Zweifel.
Álvarez torkelte aus dem Dschungel. Als er die Grenze des Anwesens erreichte, sackte er in die Knie, als würden ihn die Kräfte verlassen.
Pedros Augen huschten nach links und rechts und sich sicher war, dass Don Antonio alleine war, traf er eine Entscheidung.
»Ich muss da raus!«, erklärte er mit fester Stimme. »Der Patron braucht uns!«
Danita versuchte noch ihn zurückzuhalten, doch unnachgiebig schüttelte er die wohlmeinende Köchin ab, entriegelte die Tür und stürmte
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