0983 - Der Ort der Stille
Die drei Männer kümmerten sich nicht weiter um ihn, sondern stürmten in die Feuerhütte. Zwei weitere kamen plötzlich zwischen den Felsen beim Opferstein hervor und schleppten einen großen Kessel aus Metall herbei, in den sie mit Hilfe von Ästen und flachen Steinen die Glut des Feuers schoben. Sie ließen nicht einmal die heiße Asche zurück.
So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden sie dann mit ihrer kostbaren Beute. Den bewußtlosen Wächter ließen sie liegen.
Inzwischen entbrannte im Dorf ein heftiger Kampf, der jedoch schnell entschieden wurde. Überraschend schnell, wurde es den Kenuten wenig später klar, als sie die Verfolgung aufnehmen wollten und an der Feuerhütte vorbeikamen. Sie sahen, daß Prontos am Boden lag und das Feuer gestohlen worden war.
Den Himmelsnahen in die Felsen hineinzufolgen war sinnlos und zu gefährlich. Ihr Vorsprung war auch zu groß geworden.
VVenn die Jäger aus dem Land der Kriecher zurückkehrten, war immer noch Zeit, einen Vergeltungszug zu unternehmen und das Feuer wiederzuholen.
Prontos kam allmählich wieder zu sich. Aztekon betrachtete ihn mit finsteren Blicken, obwohl er ihm keine eigentliche Schuld an dem Unglück geben konnte.
„Sie haben das Feuer mitgenommen, Prontos. Es wird deine Pflicht sein, es zurückzuholen. Der Angriff war nur eine List. Sie wollten keine Frauen, sie wollten nur das Feuer."
„Wenn wir das vorher gewußt hätten ..."
„Wir haben es aber nicht vorher gewußt. Wo steckt Kuman?"
„In seiner Höhle. Er zog sich rechtzeitig zurück. Warum wußte er eigentlich nicht, was die Himmelsnahen planten? Die Götter hätten es ihm sagen können."
Der Hohn in Prontos’ Stimme war nicht zu überhören.
Aztekon hätte ihm gern recht gegeben, aber das wäre gegen die stillschweigende Vereinbarung mit dem Priester gewesen. Wortlos wandte er sich um und eilte hinauf zum Opferstein. Kuman kam gerade aus seiner Höhle gekrochen, in der Hand die schwarze Kugel, die er wieder behutsam in die winzige Vertiefung legte.
„Das Feuer wurde geraubt, Kuman!"
Der Priester warf einen schnellen Blick hinab zur Feuerhütte und vermißte den sonst ständig davonwehenden Rauch.
„Ja, ich weiß. Der kleine Gott dort sagte es mir."
„Leider zu spät", meinte Aztekon ungehalten. „Was nun?"
Kuman zuckte die Schultern und kehrte in seine Höhle zurück.
Inzwischen waren die anderen Dorfbewohner herbeigekommen und mußten feststellen, daß auch ihr Priester keinen Rat wußte. Prontos war bei ihnen, weil es ja nichts mehr zu bewachen gab. Versonnen betrachtete er die schwarze Kugel, und ihm war plötzlich, als spräche eine lautlose Stimme in seinem Innern.
Sie erteilte ihm einen seltsamen Befehl.
Während er noch überIegte, ob er einer Halluzination zum Opfer gefallen war, sagte einer der Männer: „Wir haben einen Gefangenen gemacht, Aztekon. Was soll mit ihm geschehen?"
Der Dorfälteste winkte ab.
„Wir warten mit der Entscheidung, bis unsere Jäger zurück sind."
Prontos hatte sich inzwischen entschlossen, auf seine:innere Stimme zu hören.
„Sammelt trockenes Gras und holt Holz! Schichtet es hier neben dem Opferstein auf. Schnell!"
Sie starrten ihn verwundert an. Aztekon trat zu ihm und tippte ihn mit dem Zeigefinger gegen die Brust.
„Bist du verrückt geworden? Was soll das? Willst du den Göttern Gras und Holz opfern? Das würde nur ihren Zorn hervorrufen."
„Nein, sie werden uns das Feuer zurückgeben."
Nun verschlug es auch dem Dorfältesten die Sprache. Als er jedoch Prontos’ entschlossenen Gesichtsausdruck sah, gab er seinen Männern einen Wink.
„Tut, was Prontos gesagt hat", befahl er.
Minuten später waren Gras und Holz zu einem kleinen Scheiterhaufen geschichtet. Aztekon sah Prontos erwartungsvoll an.
„Nun?" fragte er. Mehr nicht.
Ein wenig hilflos und doch voller Hoffnung starrte der junge Jäger auf die kleine schwarze Kugel.
Sie lag in der Vertiefung des Opfersteins und rührte sich nicht.
*
Es war Harno völlig klar, daß er ein überflüssiges Spiel trieb. Erfahrungen, die von den Kenuten jetzt gemacht wurden, konnten ihre Zukunft nicht mehr sonderlich beeinflussen, weil es keine Zukunft für sie geben würde. Aber zum Entzünden eines gewöhnlichen Feuers benötigte er nur eine winzige Menge Energie, während ein offenes Feuer ihm die doppelte oder dreifache Portion zurückgeben konnte.
Außerdem hatte Kuman die Absicht, den Stamm noch mehr auszunutzen als bisher. Eine Lehre konnte ihm nicht
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