0983 - Die Schamanin
erste Besucher, den sie auf diese Art und Weise empfangen hatte.
Es war ruhig geworden. Imelda schloß die Augen wie jemand, der diese Ruhe auch genießt. Dann seufzte sie plötzlich und setzte sich gerade hin. »Hat dir mein Trank geschmeckt?«
»Er war wunderbar.«
Imelda nickte wie jemand, der nichts anderes erwartete hatte. »Das freut mich. Möchtest du noch einen Schluck?«
»Nein, danke.«
»Schade. Aber ich kann dich trotzdem verstehen. Du wartest darauf, daß ich etwas sage.«
»Das kann ich nicht leugnen. Ich habe einen weiten Weg hinter mir, weil ich dich sprechen wollte.«
Sie nickte, als fühlte sie sich bestätigt. Dann flüsterte sie: »Hast du eigentlich Angst?«
»Vor dir?«
»Richtig.«
»Wäre ich sonst gekommen?«
Abermals drang dieses gutturale Lachen aus ihrem Mund. »So kannst du nicht sprechen, Bill Conolly. Du heißt doch so, nicht?« Sie redete weiter.
»Ich bekomme öfter Besuch, aber ich muß auch sagen, daß diese Besucher nie richtig locker sind, wenn sie hier erscheinen. Nicht die nackte Angst quält sie, sondern mehr ein Unbehagen. Da wirst auch du keine Ausnahme machen, aber sie alle wollten hinter mein Geheimnis kommen. Wenn einmal etwas über eine Person geschrieben wurde, dann ist es so, als würdest du einen Stein ins Wasser werfen, der immer mehr Wellen produziert. Man schreibt über dich, und es gibt Menschen, die das lesen und ebenfalls Berichte über dich schreiben wollen.«
»Das stimmt.«
»So war es auch bei mir. Man hat mich zu Talk-Shows eingeladen, auch sollte ich Interviews bei diversen Radiosendern geben, aber das alles habe ich abgelehnt. Ich möchte für mich bleiben und meine Ruhe haben. Ich möchte nur demjenigen etwas sagen, den ich persönlich für wichtig halte. Ansonsten bleibe ich hier und halte meinen Mund, denn ich kann mich sehr gut mit mir selbst beschäftigen, was die meisten Menschen verlernt haben.«
»Nur mit dir?«
»Ja, das ist wichtig, ob du es nun glaubst oder nicht. Ich muß mich immer wieder mit mir beschäftigen, sonst verlerne ich es. Sonst sind meine Fähigkeiten verschüttet. Das Bad im Pool ist etwas Wunderbares für mich. Es erfrischt mich von außen wie dich der Trank von innen, und ich liebe auch meine Spielgefährten.«
»Die Schlangen?«
»Sie sind wunderbar, Bill. Tiere sind sowieso etwas Besonderes. Man kann sich auf sie mehr verlassen als auf Menschen. Sie sind nicht falsch. Sie zeigen dir, daß sie dich lieben.«
»Wenn du meinst.«
»Denk an den Raben.«
Bill nickte. »Den habe ich gesehen.«
»Er ist mein bester Freund. Er schafft es auch, mir die Feinde vom Leib zu halten.«
Bill mußte lächeln. »Dann siehst du mich aber nicht als deinen Feind an, glaube ich.«
»Oh! Wie kommst du darauf?«
»Hättest du mich sonst in dein Haus gelassen?«
»Das stimmt. Du bist nicht mein Feind. Aber ich hasse Menschen, die so tun, als wären sie Freunde. Sie müssen dieses Verstellen oft teuer bezahlen.«
Bill blies die Luft durch die Nase aus. »Das sehe ich ein, aber was hat dir an mir gefallen?«
»Ich war neugierig.«
»Mehr nicht?«
»Du hast einen weiten Weg hinter dich gebracht, und ich spüre sehr deutlich, daß du dich von den anderen Menschen abhebst, die etwas von mir wollen. Du willst mehr über mich wissen, und du möchtest mein Geheimnis ergründen.«
»Ich kann es nicht leugnen.«
»Für wen schreibst du?« fragte sie nach einer Weile.
Bill hob die Schultern. »Für zahlreiche Zeitschriften. Sie erscheinen in einigen Ländern, auch in den Staaten. Mich interessieren außergewöhnliche Menschen und Phänomene.«
»Willst du die Rätsel der Welt lösen? Willst du das Leben und den Tod begreifen?« fragte sie weiter.
»Kann man das denn?«
Ihre glatte Stirn legte sich in Falten. »Es gibt immer wieder Menschen, die es versuchen.«
»Wie du!«
»Ja«, gab sie lachend zu. »Aber ich bin eine besondere Person, eine Schamanin. Davon gibt es nur wenige, wenn du verstehst.«
»Deshalb bin ich hier.«
»Und Schamanen behalten ihre Künste und Weisheiten zumeist für sich.«
»Aber du hast dich offenbart«, sprach Bill dagegen. »Du hast deine Geheimnisse nicht für dich behalten, sonst hättest du dieses Interview nicht gegeben.«
»Stimmt.«
»Also mußt du damit rechnen, daß andere kommen und dich sprechen wollen.«
»Das ist bereits geschehen, wie ich dir sagte.«
»Und warum weigerst du dich, mir etwas zu sagen?«
Imelda kicherte. »Ich soll mich weigern? Ich habe mir nur Zeit gelassen.
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