0986 - Das Ende der Sternenstadt
sah noch genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte, aber alles andere hatte sich verändert. Der Wald war eine gespenstische Versammlung von Baumgerippen, die ihre kahlen, teilweise verkohlten Äste anklagend in die von Staub und Asche erfüllte Luft reckten. Der Himmel war nicht mehr blaßblau, sondern grau und braun. An jener Stelle, an der die Sonne hätte stehen sollen, gab es nur noch einen wabernden dumpfroten Flecken.
„Sie ist explodiert", sagte Sinjadyl mit einem Blick auf die Überreste der Sonne. „Wir befinden uns hier in direkter Nähe der inneren Schirme. Es wird nicht mehr lange dauern, bis dieser Planet seine Position verläßt und weiter nach Art’Yschall hineintreibt."
„Warum habt ihr es nicht verhindert?" fragte Thezein wie betäubt. „Warum habt ihr ihn nicht aufgehalten?"
„Es war zu spät", antwortete die Bürgerin traurig.
„Aber euer Dorf ..."
„Zwei von uns blieben hier. Sie konnten diesen kleinen Bereich schützen - mehr war ihnen nicht möglich."
„Und die Schwebenden?"
„Viele von ihnen sind tot - die, die in dieser Gegend lebten. Der Planet wird von mehreren Kunstsonnen beleuchtet. Die anderen sind noch nicht gestört. Wir haben versucht, die Schwebenden zu warnen, aber auch dazu blieb uns viel zu wenig Zeit, und sie wollten unseren Leuten nicht einmal glauben. Jetzt sind sie sicher klüger geworden, und der Rest wird überleben."
„Ja", murmelte Thezein. „Um den Untergang der Sternenstadt zu erleben ..."
Sinjadyl bedachte ihn mit einem seltsamen Blick und wandte sich um. Zagarym und Cherheym tauchten unmittelbar vor ihr auf, und zwischen ihnen standen sechs sehr unterschiedliche Gestalten: Ein Bürger und fünf Spaltlinge aus der Gilde der Blühenden.
Der Bürger war jetzt fast durchgehend stofflich. Er stand allem Anschein nach unter Schock. Auch die Blühenden sahen geradezu mitleiderregend aus. Ein Teil der Blüten, mit denen sie ihre Leiber verhüllten, hatten sich geschlossen, die anderen hingen welk herab und raschelten trocken bei jeder Bewegung.
„Sieh ihn dir an!" forderte Zagarym grob von Thezein und deutete auf den Bürger. „Ist er der, den du meintest?"
Thezein sah den Bürger an. Er wußte auf den ersten Blick, daß er Malbeeram vor sich hatte, aber obwohl er mehr denn je zuvor Grund gehabt hatte, dieses Wesen zu hassen, empfand er eher Mitleid. Fürchten konnte er sich vor diesem Bürger ohnehin nicht mehr. Er sah die plumpe Karikatur eines Bürgers von Ysch, eine mißlungene Nachahmung des Originalkörpers, aus der hier und da Halme, Blätter und Blüten sprossen und seltsame, aufgepfropft wirkende Körperteile von kleinen Tieren ragten. Das Gesicht war frerndartiger als alles, was Thezein je aus Stein geformt hatte, eine entstellte Grimasse, von Schmerz, Haß und Angst verzerrt.
„Wem nützt das noch etwas?" fragte Thezein leise. „Ob er es ist oder nicht ihr könnt nichts mehr ändern."
Zagarym sah aus, als wollte er sich jeden Augenblick auf Thezein stürzen, aber Sinjadyl kam ihm zuvor.
Sie nahm den Spaltling bei der Hand und als sie ihn zu dem Bürger führte, folgte er ihr.
„Sieh ihn dir an", bat Sinjadyl. „Wenn du ihn kennst, dann nenne seinen Namen."
Er sah zu Malbeeram auf, und Malbeeram starrte zurück. Seine schwarzen Augen blickten teilnahmslos.
„Es ist Malbeeram", sagte Thezein resignierend. „Was werdet ihr nun tun?"
„Wir werden über ihn richten", sagte Zagarym erstaunlich ruhig.
„Ihr müßt wahnsinnig sein", flüsterte Thezein. „Art’Yschall stirbt, und wir alle werden mit der Stadt sterben Alles, was ihr jetzt noch tut, ist sinnlos."
Niemand antwortete ihm. Sinjadyl zog ihn von Malbeeram fort und brachte ihn in ihre Hütte.
„Du mußt dich jetzt ausruhen", sagte sie freundlich. „Du wirst deine Kräfte noch brauchen."
„Wozu?" fragte Thezein bitter.
„Damit du das Ende von Art’Yschall so erlebst", antwortete sie ernst, „daß du es niemals vergessen kannst."
Er war überzeugt davon, daß nun auch sie den Verstand verloren hatte.
Sie setzte sich auf ein weiches Fell und summte leise vor sich hin, und als sie nach einiger Zeit immer noch keine Anstalten traf, ihn zu verlassen, legte Thezein sich nieder und schloß die Augen.
Schließlich, so sagte er sich, war es ja auch gleichgültig, wie er die kurze Frist, die ihm noch blieb, verbrachte.
Er lauschte auf’die Melodie des Liedes, das sie vor sich hinsummte und glitt unversehens hinüber in die Phase der Meditation. Im letzten Augenblick,
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