0987 - Asmodis' Retter
entschlossenen Mannes bedurfte, um die Vergangenheit in diesem Ausmaß zu ändern. Wenn es denn überhaupt möglich war.
Dylan erlebte die Gründung einer Siedlung mit, die später den Namen Abruceta tragen würde. Das Bergdorf, in dem die Legende der Zeitsäufer beheimatet sein würde.
Aus der Ferne beobachtete er, wie die Gosh die Bevölkerung unterwarfen. Er sah Tod und Leid und schritt doch nicht ein. Es konnte nicht mehr lange bis zu ihrem Versuch dauern, Asmodis zu vernichten. Dylan wusste, wo das Ritual stattfand, dass es scheitern und dass der Fürst der Finsternis die Gosh dafür strafen würde. Und er hoffte, anschließend die Seelenkristalle wie reife Früchte pflücken zu können.
Wenn er aber den Leuten aus Abruceta beistand und die Dämonen bekämpfte, setzte er damit alles aufs Spiel. Vielleicht würden die Gosh einen anderen Ort für das Ritual auswählen oder es gar nicht erst versuchen. Womöglich beraubte er sich dadurch der einzigen Chance, an die Horte der Sha’ktanar heranzukommen. Dieses Risiko durfte er nicht eingehen.
Er bedauerte die Bevölkerung der Siedlung, aber ihm blieb keine Wahl, als…
(Dylans Bewusstsein rutschte über die Schallplatte seiner Erinnerung wie ein angestoßener Tonarm. Die Ereignisse zogen in so rascher Folge vorbei, dass er sie nicht erfassen konnte, bis…)
Er lauerte im Ganglabyrinth hinter den Säulen des Tempelraums und beobachtete aus der Dunkelheit das Szenario. Er erinnerte sich daran, dass er vor ungefähr dreihundert Jahren - oder, je nach Sichtweise, in etwa fünfhundert Jahren - das Gangsystem schon einmal untersucht hatte. Mit Professor… Professor… Er hatte den Namen vergessen. Irgendwas mit O.
Andorra? Nicht ganz, aber so ähnlich.
Die Gosh hatten fast alle Bewohner des zukünftigen Abruceta in die Höhle kommen lassen, um dem denkwürdigen Ereignis beizuwohnen. An die fünfzig Personen und doppelt so viele Dämonen versammelten sich um den Altar aus schwarzem Stein. Noch war er leer, doch das sollte sich bald ändern.
Noch immer staunte Dylan, wie einfach es gewesen war, sich der willenlosen Herde anzuschließen, ohne dass es jemandem auffiel, und sich dann in den finsteren Gängen zu verstecken.
Merkwürdig, den Namen des Professors hatte er vergessen, aber die Erinnerung an die Höhle war so frisch, als hätte sein letzter Besuch erst gestern stattgefunden und nicht vor dreihundert Jahren.
Die gigantische Kuppel, die Galerie, die den Tempelraum in etlichen Metern Höhe umlief, die Säulen darunter mit ihren obszönen Motiven, das Ganglabyrinth jenseits des unter der Galerie verlaufenden Saums, die wuchtige Treppe auf die Empore.
Nur über sie konnte Dylan zurück ins Freie gelangen, wenn er die Seelenkristalle erst einmal an sich genommen hatte.
Es würde verdammt knapp werden, dessen war er sich jetzt schon sicher. Denn er wusste nicht, wie es Asmodis gelingen sollte, sich zu befreien, und wie lange Zeit ihm, Dylan, danach noch blieb, bevor der Fürst der Finsternis alle Anwesenden strafte, indem er sie in Statuen verwandelte. Bis dorthin wollte er möglichst draußen sein, denn er hatte keine Lust, als Steinfigur in seine Zeit zurückzukehren.
Das wird nicht geschehen, sonst hättest du dich damals in der Zukunft schon hier stehen sehen.
Oder?
Er verscheuchte den Gedanken. Im Augenblick hatte er Wichtigeres zu tun, als über Zeitreisen nachzudenken. Zum Beispiel beobachten!
Aus einem Beutel am Gürtel holte er zwei flache Kieselsteine mit aufgemalten Augen hervor. Sie hatte er einst bekommen, als…
(»Der Augenstein!«, dachte Dylan.
»Ich habe ihn bereits damals besessen. Aber da hatte er noch einen Bruder.« Doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich nicht daran erinnern, woher sie stammten. Oder was im Laufe der folgenden Jahrhunderte aus dem anderen Exemplar geworden war.)
Er hielt sie für einige Sekunden in den Handflächen, genoss ihr Gewicht und ihre Wärme. Dann presste er sie auf die Augen.
Ein kurzer Stich durchzuckte seinen Kopf. Für einen Moment verschwamm ihm die Sicht, als versuche er, im klaren Wasser ohne Taucherbrille etwas zu sehen.
Dylan wusste, was gerade mit ihm geschah. Er hatte einmal sein Spiegelbild auf einer Seefläche beobachtet, als er die Augensteine einsetzte. Sie verschmolzen mit ihm, bis die Steine nicht mehr als solche zu erkennen waren, verdeckten seine Augen und ersetzten sie durch die aufgemalten.
Er bot ein skurriles Bild, wenn er blicklos umherschaute, ohne zu zwinkern.
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