0988 - Das Labyrinth von Eden
nähmen…«
»Sie nehmen keinen Schaden, ich versprecht«, beteuerte Carrie.
»Das kannst du nicht garantieren, Carrie, tut mir leid. Du hast auch das, was in deinem Zimmer geschah, nicht vorausgesehen.«
Sie hatte Tränen in den Augen, ließ es aber nicht zu, dass auch nur eine über ihre Wange kullerte.
Hilfe suchend wandte sie sich an Nicole. »Denkst du genauso?«
Nicole nickte. »Ich fürchte ja.«
Carrie kehrte ihnen den Rücken und rannte in ihr Zimmer. Beide, Zamorra und Nicole, erwarteten, dass sie die Tür hinter sich mit einem Knall zuwerfen würde, der auch noch den letzten Schläfer im Schloss aufwecken würde. Stattdessen kehrte Carrie schon Sekunden später mit zornfunkelnden Augen zurück und drückte Zamorra den noch heilen Blumentopf gegen den Bauch.
»Hier! Töte sie, wie du es mit den anderen getan hast! Bring alle um! Mörder!«
Zamorra griff mechanisch danach, während sie losließ, sich umdrehte und wieder in ihrem Zimmer verschwand.
Diesmal knallte die Tür - und zwar, dass es sich gewaschen hatte.
»Man kann ihr jedenfalls nicht vorwerfen, sie hätte kein Temperament«, murmelte Zamorra.
Er fühlte sich mies wie selten.
***
Sie hatte es ihnen nicht gesagt - und sie würde es ihnen auch nicht sagen.
Eigentlich hätte sie gern noch über ihren Albtraum mit ihnen gesprochen. Aber nach dem, was vorgefallen war, verzichtete sie lieber darauf und machte es mit sich selbst aus.
Wobei es nicht so war, dass sie den Professor gar nicht verstand. Von seiner Warte aus hatte er wahrscheinlich recht. Und ja: Es war sein Schloss. Er konnte hier schalten und walten, wie es ihm beliebte, und dass er das Château samt seiner Bewohner vor jeder sich abzeichnenden Gefahr schützen wollte - Himmel, wie hätte sie es ihm verdenken können.
Aber er hatte ja auch nicht gefühlt, was sie gefühlt hatte - als die Gewächse, die dem transformierten Samen entsprossen waren, im Strahlenschauer des Amuletts zugrunde gingen. Es war, als hätte man Carrie nackt in eine Mikrowelle gesteckt und das Gerät auf Höchstleistung gestellt. Sie hatte den Todeskampf der Pflanzen in jeder Nuance mit durchlebt.
Wenigstens war es schnell gegangen.
Trotzdem.
Schon gut, ich verzeih ihnen ja, dachte sie benommen. Aber ein bisschen schmoren lassen darf ich sie ja wohl!
6.
Eden
Zunächst konnte Nele das zirpende Geräusch nicht zuordnen.
Denn außer flirrender Bewegung war dort, wohin Paul zeigte, nichts zu sehen.
Zunächst wohlgemerkt.
Das änderte sich, als die huschenden Schemen bei der Fallgrube verharrten.
Urplötzlich wurden sie deutlicher sichtbar, wenngleich die letzte Schärfe fehlte.
Es dauerte eine Weile, bis Nele den Grund für die Unschärfe oder die Probleme, die Gestalten auszumachen, erkannte.
Chamäleon-Effekt, dachte sie. Ihre Haut - oder besser ihr Panzer - imitiert nahezu perfekt ihre Umgebung, sodass sie mit der Landschaft zu verschmelzen scheinen.
Ein eisiger Schauder rann über Neles Rücken. Gleichzeitig hörte sie Paul so heftig ausatmen, als läge plötzlich ein Zentnergewicht auf seinen Lungen. Und die Saleh-Kinder…
Nele schlang gedankenschnell ihre Arme um sie und drückte sie an sich. »Pssst!«, machte sie dazu, und beides zusammen war so unmissverständlich, dass die Schreie, die schon hinter den Kehlen der Salehs lauerten, niedergekämpft und erstickt wurden. Ihr Zittern jedoch pflanzte sich bis in Neles eigenen Körper fort, sodass sie für ein paar Sekunden nicht unterscheiden konnte, ob es ihr selbst entsprang oder von den bebenden Leibern auf sie übertragen wurde.
»Grundgütiger!«, flüsterte Paul in einem so scharfen Ton, dass sich Nele endgültig die Haare sträubten.
Dabei hätte schon der bloße Anblick der Gestalten fünfzig Meter vor ihnen genügt, um ihr den kalten Schweiß auf die Stirn zu treiben.
Ihre Prophezeiung, bei den Fallenstellern handele es sich wahrscheinlich nicht um Menschen, erfüllte sich aufs Schaurigste.
»Was sind die?«, wisperte Paul, der es offenbar nicht schaffte, die Szene schweigend zu verdauen. »Insekten?«
»Mannsgroße Insekten«, bestätigte Nele ebenso leise - und betete, dass das Gehör der grazilen Geschöpfe, die über eine natürliche Körperpanzerung verfügten, nicht wesentlich besser ausgeprägt war als das menschliche.
Sonst hatten sie ein Problem.
Das haben wir doch längst. Himmel, ich hätte nicht unbedingt recht behalten müssen!
Sie beobachteten, wie die Kreaturen, die entfernt an auf zwei Beinen gehende
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