0988 - Das Labyrinth von Eden
blüht! Und selbst das Gras… Das alles sieht merkwürdig fremd aus, ohne dass man sich in der Kulisse unwohl fühlt.«
»Kulisse?«
»Fühlt es sich für dich real an?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Dann tu es jetzt.«
Er schüttelte den Kopf. »Noch mal zu deiner anderen Frage.«
»Zamorra?«
»Genau.«
»Und? Was hältst du von ihm?«
»Er gehört zu den Menschen, denen ich jederzeit mein Leben und meine intimsten Geheimnisse anvertrauen würde.«
»Klingt gut«, sagte Nele. »Mir nicht?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, sagte er ausweichend.
»Denkst du überhaupt irgendwann?«, lästerte sie.
»Unentwegt.«
»Das halte ich für ein Gerücht.« Nele legte den Kopf schief, wie ein Tier, das Witterung aufnahm.
Sofort wurde Paul unruhig und sah sich um. »Kommt jemand?«
»Du meinst die Fallensteller?«
Er nickte.
»Noch nicht«, sagte sie. »Aber…«
»Was?«
»Aber etwas stimmt hier nicht. Ich spüre es. Ich habe das Gefühl, dass wir hinters Licht geführt werden.«
»Von wem?«, fragte Paul. »Und vor allem: in welcher Weise?«
Sie wurden unterbrochen, als die Saleh-Kinder zu ihnen kamen.
»Wir haben Hunger«, sagte Rami und tastete mit schmerzverzerrtem Gesicht über seine Beule.
»Und Durst«, fügte Aun hinzu.
Nele nickte. »Darum kümmern wir uns gleich. Aber vorher müssen wir reden.«
»Schon wieder?«, stöhnte Naru. »Reden heißt bei Erwachsenen immer ermahnen oder aushorchen.«
»Du bist mir ja ein Klugscheißer«, warf ihm Nele unverblümt an den Kopf. »Ich dachte, ihr könntet kein Wässerchen trüben.«
Naru hob mit finsterer Miene seine rechte Faust. »Ich bin ein Gesegneter«, erklärte er. »In meinen Adern fließt nicht einfach nur Blut, sondern das Feuer Allahs!«
Stolz hoben auch seine Brüder die behandschuhten Fäuste.
»Haben eure Väter euch das so verkauft?«, fragte Nele unbeeindruckt. Bevor Naru antworten konnte, brachte sie die Sprache auf das Thema, das sie momentan mehr interessierte. »Könnt ihr euch mittlerweile wieder an euren Aufenthalt hier erinnern? Immerhin spricht vieles dafür, dass ihr schon einmal hier wart - und hier Jahrzehnte eurer Lebenszeit zurücklassen musstet, als wären es Pfänder.«
Die Kinder schüttelten die Köpfe und erklärten unisono: »Wir waren vorher noch nicht hier!«
»Versucht, euch zu erinnern. Als der Engel euch nacheinander von zu Hause entführte - wohin brachte er euch da? Nicht nach Eden? Wo stahl er eure Jahre dann?«
»Er…«
»Still!«, unterbrach Paul sie, den Blick aus dem Wald heraus Richtung Falle gewandt. »Ich höre etwas - und dort… ist Bewegung…!«
5.
Sie hatte es wieder getan.
Samen in die hohle Hand… Samen verschwinden lassen… und ihn wieder zurückgeholt!
Und dann hatte sie ihn unter die Erde gebracht - im Blumentopf.
Den Topf hatte sie jedoch nicht im Gewächshaus gelassen, sondern mit in ihr Zimmer im Schloss genommen. Dort stand er jetzt neben dem anderen, aus dem es schon sprießte, auf der Fensterbank.
»Meinst du, du kannst heute besser schlafen als letzte Nacht?«, fragte Nicole fürsorglich, als sie sich zu Carrie hinunterbeugte und ihr die Steppdecke bis zum Hals hinaufzog.
Carrie nickte unsicher. »Ich hoffe es.«
»Und das da?« Nicole nickte in Richtung der Terrakotta-Töpfe. »Soll ich sie nicht lieber für dich in Gewahrsam nehmen - bis morgen wenigstens?«
»Denkst du, sie könnten mir schaden?«
»Schaden?«
»Mir irgendetwas zufügen.«
»Nein! Hier im Schloss bist du sicher. Schädliche Magie würde die M-Abwehr sofort auf den Plan rufen. Nicht nur, wenn sie von außen einzudringen versuchte, sondern auch, wenn sie im Innern zur Entfaltung käme.«
»Dann kann ja nichts passieren.«
Nicole nickte, beugte sich zu Carrie herab und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Schlaf gut. Bis morgen früh. Küche? Zehn Uhr?«
»Neun«, sagte Carrie.
Nicole seufzte schwer. » D’accord. Wer könnte dir schon etwas abschlagen?«
***
Der Schlaf wurde zur Tortur.
Die Träume gerieten zur Folter.
Als Carrie sich endlich aus ihren Verstrickungen befreit hatte, lag sie schweißgebadet da und lauschte ihrem rasselnden Atem.
Sie kam sich vor, als hätten Furien sie kilometerweit durch die Nacht gehetzt. In der Realität, nicht nur im Traum!
Ihr erster Impuls war, nach Nicole und Zamorra - oder irgendjemandem, der sie hören konnte - zu rufen. Aber dann setzte sie sich nur auf und machte die Nachttischlampe an. Sofort breitete
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