0988 - Die Magnetfrau
lehnte die Neunzehnjährige an der Wand. Das Gesicht war blaß. Sie atmete noch immer heftiger als gewöhnlich, und über ihre Pupillen hinweg zog sich ein dünner Schleier.
Auch Grit Wayne hatte sich hingestellt. Der Blick war auf ihre Tochter gerichtet. Sie versuchte, aus dem Gesicht herauszulesen, was ihr wohl widerfahren war, aber sie konnte keine Regung feststellen. Celia sah anders aus, nur kam ihre Mutter damit nicht zurecht. Auch wollte sie nicht reden, dafür warf sich Celia plötzlich nach vorn, und Grit Wayne fing sie auf.
Sie hörte ihre Tochter sprechen. Worte, die schnell hervorgestoßen worden waren und von Grit nicht verstanden wurden, aber sie spürte die Angst, die jedes Wort begleitete. Sie glaubte nicht, daß der Zustand beendet war, er hatte nur eine Unterbrechung erlebt. Etwas fiel ihr bei dem Gestammel schon auf.
»Sie haben mich wieder. Sie haben mich wieder. Es ist die Rückkehr. Ich kann mir nicht helfen. Ich kann dagegen nichts tun. Es sitzt so schrecklich tief…«
»Was denn, Celia? Was sitzt so schrecklich tief?«
»Das andere.«
»Welches?«
»Weiß ich nicht«, stammelte sie. »Ich habe keine Ahnung. Ein tiefes Vergessen…«
»Und sonst?«
»Nichts, gar nichts. Nur ein Vergessen…«
Grit wunderte sich, wie gut sie plötzlich drauf war. Sie sah die Dinge viel klarer als ihre Tochter. Längst hatte sie sich vorgenommen, nicht mehr in ihr Bett zurückzukehren. Sie würde mit Celia auch die restlichen Stunden der langen Nacht zusammensitzen. Sie wollte mit ihr sprechen, sie befragen, denn die gestammelten Worte hatte sie beileibe nicht vergessen.
»Was möchtest du, Celia?«
»Weg.«
»Wie?«
»Aus dem Zimmer. Ich will weg, verstehst du?«
»Nein, aber…«
»Aus dem Haus nicht. Ich muß was trinken, ich bin durcheinander. Noch immer…«
»Erzählst du mir dann, was mit dir geschehen ist, Kind?«
»Ich muß es versuchen.«
»Tu das. Wo willst du hin?«
»In die Küche.«
»Okay.« Nach diesem Wort schauderte Grit Wayne für einen Moment zusammen, hatte doch gerade in der Küche alles angefangen oder das Unheil begonnen. Aber sie wollte sich dem Wunsch ihrer Tochter nicht entgegenstellen und verließ mit ihr zusammen den Raum.
Im Flur gingen sie auf die Treppe zu. Wie ein kleines Kind hielt Grit Celia an der Hand und führte sie nach unten. Nichts ging mehr von ihrer Tochter aus. Sie war normal wie immer, und auch das ungewöhnliche und unerklärliche Kribbeln war verschwunden.
Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinab. Celia sprach einige Male, doch ihre Mutter verstand kein Wort. Hin und wieder schaute sie Celia an, die den Blick und auch den Kopf gesenkt hielt, als wollte sie jede Stufe nachzählen.
Sie ließen die Treppe hinter sich. Unten machte die Frau Licht und betrat auch als erste die Küche, wo sie ebenfalls das Licht anknipste. Mit einem raschen Rundblick stellte sie fest, daß sich nichts verändert hatte. Der Topf stand dort, wo Celia ihn hingestellt hatte, und auch die Bestecklade war geschlossen.
Das beruhigte Grit schon, auch wenn sie sich über das vorsichtige Schleichen ihrer Tochter wunderte. Sie betrat die Küche wie eine Fremde.
»Komm, setz dich mal.« Grit drückte sie auf einen Hocker. Celia ließ alles mit sich geschehen und hörte zu, als ihre Mutter sie fragte, was sie trinken wollte.
»Wasser.«
»Gut.« Auch Grit hatte Durst. Sie schenkte zwei Gläser beinahe bis an den Rand hin voll. Eines gab sie Celia in die leicht zitternden Hände.
Wasser schwappte über und rann an der Hand entlang. Celia trank schnell, ihre Mutter langsamer, und sie ließ die Tochter nicht aus den Augen.
Das leere Glas stellte Celia weg. Danach schaute sie nicht die vor ihr stehende Mutter an, sondern an ihr vorbei und damit ins Leere.
»Geht es dir jetzt besser, Kind?«
Celia wußte nicht, was sie antworten sollte. Sie entschloß sich schließlich für ein Nicken.
»Das freut mich.«
»Ich weiß es nicht…«
»Was weißt du nicht, Kind?«
»Was plötzlich los ist, Mum.«
»Das verstehe ich. Es ging alles so plötzlich. Auch ich komme damit nicht zurecht. Du sicherlich noch weniger und…«
Celia unterbrach ihre Mutter. »Es war wie ein brausender Sturm, der plötzlich in mir toste. Ich konnte nichts machen. Ich war nicht mehr ich. Ich habe etwas gespürt, das ich nicht erklären kann, aber es muß schon immer in mir gewesen sein.« Sie schaute ihre Mutter beinahe hilfesuchend an, und Grit spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie war wütend und
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