099 - Der steinerne Gott
Kramer. „Und was er sagte, deckt sich mit den Prophezeiungen des Faust-Geistes."
„Und so spricht ein wissenschaftlich geschulter Mensch!" rief Flindt, während er auf die Treppe zu den oberen Geschossen zustrebte. „Ich bringe dein Gepäck aufs Zimmer, Coco."
Dorian warf ihm die Reisetasche zu, und Flindt fing sie geschickt auf. Vor sich hin pfeifend, lief er die Treppe hoch.
„Er hängt sehr an dir, Dorian", sagte Coco.
„Wenigstens einer, der nicht nachtragend ist", erwiderte Dorian und öffnete die Tür zum Rittersaal. Sein Schritt stockte, als er von oben einen Schrei hörte. „Was war das?"
„Wahrscheinlich Phillip", erklärte Hideyoshi Hojo. „Er macht gerade eine Krise durch. Burian deutete es ja bereits an. Aber es besteht kein Grund zur Sorge. Wir alle wissen, daß Phillip so etwas öfter hat."
„Wir wissen aber auch, daß Phillips Krisen nie grundlos kommen", sagte Dorian. „Sie werden immer durch äußere Einflüsse hervorgerufen. Und nicht selten sind Ereignisse daran schuld, die ihre Schatten vorauswerfen. Ich sehe es doch euern Gesichtern an, daß ihr mein Kommen für seinen Zustand verantwortlich macht. Seit wann hat er denn sein Leiden?"
Yoshi senkte den Blick. „Es ist tatsächlich so, daß er seine Anfälle bekam, als Coco uns euer Kommen mitteilte. Aber natürlich geben wir nicht dir die Schuld."
„Natürlich nicht", sagte Dorian sarkastisch. „Ich weiß doch, ihr verzeiht mir, daß ich aus der Magischen Bruderschaft ausgetreten bin. Ihr habt Verständnis dafür, daß ich euch im Stich gelassen habe und mich Gunnarsson anschloß. Ihr akzeptiertet, daß ich mit euerm Kleinkram nichts mehr zu tun haben wollte und mich auf die Suche nach der ultimaten Waffe gegen die Dämonen machte. Ihr bemitleidet mich höchstens, weil ihr über diese Dinge erhaben seid."
„Warum bist du so verbittert, Dorian?" fragte Yoshi.
„Bin ich das?" Er lachte. „Ihr habt geglaubt, ich betrachte euch als meine Prügelknaben, und jetzt wolltet ihr den Spieß umdrehen. Ich bin nicht verbittert, nein, aber ich habe die Nase von euch voll. Und sorgt euch nur nicht um Phillip, denn ich werde eure Gastfreundschaft nicht lange in Anspruch nehmen. Coco und ich werden nämlich sehr bald für immer von hier verschwinden."
„Ist das wahr?" fragte Yoshi.
Coco nickte mit unbestimmtem Lächeln.
„Ja." Sie wandte sich ab. „Wo ist Ira?"
„In der Küche. Sie bereitet zusammen mit Bixby das Essen vor. Virgil kümmert sich um Phillip und Tirso. Der Zyklopenjunge leidet mit dem Hermaphroditen."
„Ich werde Ira helfen", sagte Coco und begab sich in die Küche.
Sie wäre am liebsten allein gewesen, aber das hätte die anderen auf falsche Gedanken gebracht.
Ira Marginter, die Restaurateurin aus Frankfurt, und Colonel Bixby, der lange Zeit in Tibet gelebt, mit seinen lamaistischen Lehren in Europa jedoch kein Glück gehabt hatte, begrüßten sie überschwenglich.
Als Ira hörte, daß Coco praktisch nur auf der Durchreise und hauptsächlich gekommen war, um sich von ihnen zu verabschieden, fragte sie ernst: „Bist du auch sicher, daß du keinen Fehler machst, Coco? Ich habe Dorian früher sehr geschätzt, ihn für einen starken Charakter gehalten, aber was er in letzter Zeit… "
„Dorians Charakter hat nicht gelitten", ereiferte sich Coco. „Was ihr von ihm kennengelernt habt, war nur seine rauhe Schale. Ich kenne ihn besser und weiß, daß er mich noch immer liebt. Das hat er mir bewiesen, indem er sein Streben nach Macht aufgegeben hat. Er hat sich von Magnus Gunnarsson abgewandt und sogar Unga verlassen und ist zu mir zurückgekehrt. Ich weiß, daß es für immer ist. Er hat meinetwegen sogar auf den Ys-Spiegel verzichtet."
Coco zuckte zusammen, als aus dem Rittersaal ein Gepolter zu hören war. Jemand rief Phillips Namen. Coco glaubte, die Stimme von Virgil Fenton zu erkennen, dem Hauslehrer des Zyklopenjungen. Dann schrien alle durcheinander.
Coco eilte sofort zur Verbindungstür. Als sie sie öffnete, versuchte Dorian gerade den Tumult beizulegen. Er drängte alle beiseite und mußte den erregten Virgil Fenton gewaltsam zurückhalten. „Los, Phillip, zeige uns, was du kannst!" feuerte Dorian den Hermaphroditen an. „Sage uns, was du weißt!"
In Coco krampfte sich etwas zusammen, als sie sah, in welchem Zustand sich Phillip befand. Der blauhäutige Tirso warf ihr aus seinem einen Stirnauge einen flehenden Blick zu und kam zu ihr gerannt.
„Ach, Coco, hilf Phillip!" bat er weinerlich. „Er
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