099 - Der steinerne Gott
leidet so sehr!"
Er schlang die Arme um sie, und Coco drückte ihn an sich. Dabei ließ sie kein Auge von Phillip.
Der Hermaphrodit trug ein langes, viel zu weites Nachthemd, unter dem sich kleine Brüste abzeichneten. Seine goldschimmernden Augen waren groß und blicklos. Das hagere Gesicht war bläulich angelaufen, sein Mund öffnete und schloß sich ruckartig. Und dann trat ein grünlicher Schaum vor seinen Mund.
Virgil Fenton riß sich von Dorian los und wischte Phillip mit einem Taschentuch den Mund ab. Der Hermaphrodit merkte es überhaupt nicht.
Plötzlich spitzten sich seine Lippen, wurden sinnlich und zeigten ein schüchternes Lächeln.
„Coco", sagte er, blickte jedoch in eine ganz andere Richtung. Und wieder: ,.Coco!" Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht wieder. Er würgte, schwankte. „Nein, tu es nicht!"
Virgil Fenton wollte ihn stützen, doch Dorian hielt ihn am Arm zurück.
„Laß ihn!" verlangte der Dämonenkiller barsch. „Erst soll er uns seine Nummer vorführen."
„Dieser Rohling!" hörte Coco Ira Marginter hinter sich sagen.
Aber sie schritt nicht ein.
„Was soll Coco nicht tun?" wollte Dorian von Phillip wissen. „Wo ist Coco? Was hat sie vor?" Phillip tastete sich wie ein Blinder an dem langen Tisch entlang. Dann stützte er sich darauf und stierte vor sich ins Leere.
„Ein Zimmer", murmelte er mit entrückter Stimme. Dennoch konnten ihn in der entstandenen Stille alle hören.
Phillips kleine Jungmädchenbrüste hoben und senkten sich. Er atmete schwer.
„Ein Zimmer", wiederholte er. „Schatten kündigen Blut und Schrecken an. Feuer! Feuer! Es brennt - lichterloh. Nein, Coco! Nicht! Tu es nicht! Nicht töten!"
Dorian stellte sich an seine Seite und beugte sich zu Phillip, der über den Tisch gebeugt dastand, hinunter. Wieder würgte Phillip. Sein Gesicht sah immer mehr einem Totenkopf ähnlich.
„Wen soll Coco nicht töten?" fragte Dorian beschwörend.
„Sie darf es nicht tun! Nicht töten!"
Phillip brach plötzlich mit einem Aufschrei zusammen und wand sich wie unter Krämpfen auf dem Boden. Dorian beugte sich über ihn.
„Ich will wissen, wen Coco nicht töten darf!" herrschte er Phillip an.
Virgil Fenton stürzte sich auf Dorian.
„Jetzt ist aber Schluß!" herrschte er den Dämonenkiller an. „Du siehst doch, in welchem Zustand sich Phillip befindet. Ich bringe ihn aufs Zimmer."
Dorian stieß Fenton mit dem Handballen gegen das Kinn, so daß dieser zurücktaumelte.
„Zuerst muß ich diese Frage klären."
Er warf einen wütenden Blick in die Runde, um die anderen abzuschrecken, dann wandte er sich wieder Phillip zu, der nun auf dem Boden lag. Er hatte sich einigermaßen beruhigt. Nur seine Glieder zuckten noch.
„Siehst du, wen Coco töten will?" fragte Dorian. „Siehst du, was Coco gerade tut?"
„Coco umarmt einen Mann ohne Gesicht. Der trägt keine gnostische Gemme und keinen Ys- Spiegel", murmelte Phillip.
Alle, die die Worte hörten, wußten, daß damit nur Dorian gemeint sein konnte. Phillip äußerte sich meist so umschreibend.
„Ein Messer!"
Phillip schrie es.
Dorian zuckte unwillkürlich zusammen. Coco sah, daß ihm der Schweiß ausgebrochen war. Er beleckte sich die Lippen.
„Laß ihn, Dorian!" bat sie. „Es ist besser, wenn er gar nicht ausspricht, was er ahnt. Vielleicht läßt sich… "
… die Zukunft ändern, wenn Phillip sich mit seiner Prophezeiung nicht festlegt, hatte sie sagen wollen. Sie drückte Tirso immer noch an sich.
„Coco rast", sagte Phillip.
Coco schloß die Augen.
Sie wollte das gar nicht hören. Der Hermaphrodit hatte schon einmal eine solche Prognose gestellt. „… die Frau, die nicht anders kann, als das Liebste töten, sticht zu. Der Mann, der keine gnostische Gemme und keinen Spiegel trägt, der nackte Mann auf Irrwegen - liegt in seinem Blut - bäumt sich auf. Ein Blutschwall aus seinem Mund. Flammen züngeln … Er brennt.
Flammen. Löscht die Flammen! Löscht sie! Es brennt!"
Phillip wand sich und schlug auf sich ein, als ginge er selbst in Flammen auf, als versuchte er, das Feuer einzudämmen.
„Aufhören!"
Hideyoshi Hojo schob Dorian beiseite, der sich nun nicht mehr wehrte. Zusammen mit Virgil Fenton hob der Japaner den Hermaphroditen auf. Sie trugen ihn fort.
Dorian hockte da und blickte ins Leere. Dann sah er hoch und Coco in die Augen. Er versuchte ein Lächeln.
„Warum solltest du mich töten wollen, Coco?" fragte er.
Coco biß sich auf die Lippen und schüttelte wortlos den Kopf.
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