0991 - Der Kopf des Vaters
leichter über die Zunge, als es bei Ihnen der Fall gewesen wäre. Aber denken Sie immer daran, daß Sie nicht allein in die Höhle des Löwen gehen werden.«
Die Frau nickte. »Das ist auch mein einziger Trost«, gab sie zu.
Jane drehte sich um und schaute mich an. »Die Höhle ist nicht mehr weit«, erklärte sie. »Wir befinden uns bereits in der Wohnsiedlung. In den nächsten zehn Minuten müßten wir eigentlich das Haus erreicht haben.«
Durch das Fenster betrachtete ich die Umgebung. Hier gab es keinen Prunk, hier wollte auch niemand mit seinem Haus angeben, wie ich es vor einigen Wochen erlebt hatte. Ich war in Spanien gewesen, um Carlita, die Köpf erin zu jagen, die sich in einer exklusiven Wohnung versteckt hielt.
Das Haus der Sargassos stand ebenfalls in dieser Gegend.
Suko stoppte schräg auf einer mit Platten belegten Garagenzufahrt. Zum Haus selbst führte ein schmaler, ebenfalls plattierter Weg durch einen Vorgarten, in dem noch die Glyzinien blühten und ansonsten strauchartige Gewächse den Vorzug bekommen hatten.
Die Umgebung interessierte mich nicht so sehr wie unser Schützling. Mit weichen Knien war Julia ausgestiegen, hatte die Tür zugedrückt und schaute sich scheu um. Sie sah wirklich nicht aus wie eine Tochter, die ihre Eltern besuchen wollte. Dafür mehr wie eine Fremde, die sich davor fürchtete, ein Haus zu betreten.
Ich wollte ihr Mut machen und hakte sie unter. »Es wird alles nicht so schlimm werden, Julia.«
Heftig schüttelte sie den Kopf. »Irrtum, John. Es wird schlimmer werden, als wir es uns bisher vorgestellt haben. Das schwöre ich, denn das habe ich gespürt.«
»Abwarten.«
Ich wollte ihr nicht unbedingt recht geben, denn auch ich rechnete mit Ärger. Obwohl äußerlich nichts zu sehen war. Der Himmel hatte sich verändert. Er zeigte jetzt größere Lücken, in denen sich ein strahlendes Blau ausgebreitet hatte. Der leichte Wind wedelte in unsere Gesichter.
Er war auf oder über dem Meer geboren und brachte auch dessen Geruch mit.
Das Wasser konnten wir in der Ferne sehen, wenn sich eine Lücke zwischen den Hotelbauten auftat.
Jane und Suko hatten den Eingangsbereich erreicht und warteten vor der Tür. Ich führte Julia hin. Je näher wir den beiden kamen, um so mehr verzögerten sich die Schritte der Frau. Sie wirkte, als wollte sie ein bestimmtes Ereignis hinausschieben oder verzögern.
»Kommen Sie, Julia. Je früher wir da sind, um so schneller ist es vorbei.«
»Ich fürchte mich.«
»Dazu besteht kein Grund.«
Sie war störrisch. »Nicht vor dem Jetzt, John, sondern vor der nahen Zukunft. Das müßten Sie doch begreifen können.«
»Sicher.«
In den Gesichtern meiner beiden Freunde las ich ab, daß etwas nicht stimmte oder sie mit gewissen Dingen nicht zurechtkamen. Auf Janes Stirn zeichnete sich eine ausdrucksvolle Falte ab, als sie sagte: »Es scheint niemand im Haus zu sein. Wir haben geklingelt, aber uns wurde nicht geöffnet.« Sie hob die Schultern.
»Das glaube ich nicht.« Julia stand da und hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Nein, das kann ich nicht glauben. Es muß einfach jemand im Haus sein. Ich spüre es. Sie ist da, wie auch immer. Sie will nur nicht öffnen, da sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden möchte. So und nicht anders sehe ich es.«
Das konnte stimmen, mußte aber nicht so sein. Diesmal drängte sich Julia vor.
Sie hatte es plötzlich sehr eilig und preßte die Daumenkuppe auf den aus dem Mauerwerk hervorragenden Metallknopf.
Wir hörten die Klingel. Sie schepperte und schickte den Schall durch das Haus, aber es kam niemand, um zu öffnen. Jane hatte sich von uns entfernt. Sie kontrollierte die Fenster. Auf dieser Seite waren sie sehr klein. Im oberen Stock des viereckigen Hauses mit den hellen Wänden größer, aber auch dort bewegte sich niemand hinter den Scheiben.
»Ich schaue mal hinten nach«, sagte Jane und war verschwunden, bevor wir hätten Widerspruch einlegen können.
Suko klingelte noch einmal. Julia stand mit gesenktem Kopf neben uns.
Sie nagte auf der Unterlippe: Wir sahen ihr an, daß sie von schweren Gedanken gequält wurde.
Jane kam zurück. Kaum daß sie für uns sichtbar geworden war, hob sie die Schultern. »Pech gehabt, Freunde, da war auch nichts. Ich habe zwar durch ein großes Fenster in einen Wohnraum schauen können, aber keinen Menschen gesehen.«
»Dann ist Ihre Mutter wirklich nicht da«, sagte Suko.
Das wollte Julia auf keinen Fall akzeptieren. »Irrtum, Suko. Sie ist im
Weitere Kostenlose Bücher