0997 - Straße der Psychode
Thyron belustigt.
„Das ist zu wenig", erwiderte die kleine Entwicklungshelferin mit den roten Augen. „Jede Frau ist ihrem männlichen Gegenstück überlegen. Das zeigt die Geschichte der Zwotter am deutlichsten."
„Die Zwotter sind zweigeschlechtlich, jeder von ihnen ist zeitweilig Frau und dann wieder Mann", erwiderte Jenny. „Darum läßt sich ihre Gesellschaft mit der unseren nicht vergleichen."
„Es ist nicht richtig, in welcher Form das Weibliche und das Männliche zum Ausdruck kommt", sagte Gail Bedomo leidenschaftlich. „Bei den Zwottern dominiert das Weibliche. Während ihrer männlichen Phase sind sie bessere Tiere, wenn das Weibliche hervorgekehrt wird, sind sie Genies. Es waren die Zwotterfrauen, die ihr Volk vor dem Rückfall in die Primitivität bewahrt haben und letztlich dafür sorgten, daß die paraplasmatische Sphäre doch noch ihrer Bestimmung zugeführt wurde."
„Ich kenne die Geschichte der Zwotter", erwiderte Jenny. „Ich habe sie zusammen mit meinem Mann in einer parusischen Sendung erlebt. Darum weiß ich auch, daß man sie nicht so einfach darstellen kann, wie Sie es tun, Gail. Sie haben einen zu subjektiven Standpunkt. Warum verachten Sie die Männer?"
In Gail Bedomos Gesicht begann es zu zucken.
„Verdammt, Jenny!" rief sie. „Betrachten Sie die terranische Geschichte. Sie wurde immer von Männern gemacht, und ich sage Ihnen, daß dieses jahrtausendelange Patriarchentum die Entwicklung der Menschheit gehemmt hat. Wir Frauen hätten viel mehr leisten können. Aber man hat uns unterdrückt, mit Gewalt an der Entfaltung gehindert. Und es ist auch heute noch nicht viel anders. Wer seit urdenklichen Zeiten Sklave war, wird es immer bleiben, dafür sorgen schon die Sklavenhalter. Sie haben nur ein wenig die Zügel gelockert, aber sie halten uns noch an der Leine. Mein Haß gegen die Männer ist der des Sklaven auf seinen Herrn!"
„Ich habe Sie in dem starken Verdacht, Gail, daß Sie nur die Rollen vertauschen wollen", sagte Jenny.
„Und zwar im Rahmen des von Ihnen geprägten Rollenbildes von Mann und Frau. Ihre Ansichten sind hoffnungslos veraltet."
„Ich habe so wie Sie gedacht - bis ich nach Zwottertracht kam", erwiderte Gail Bedomo. „Seit damals weiß ich, daß das Weibliche die Krone der Schöpfung ist. Es war ursprünglich uns Frauen zugedacht zu herrschen. Die Menschheit stünde anders da, wenn wir von unseren Sklavenhaltern nicht daran gehindert worden wären, uns zu entfalten. Haben Sie Phantasie, Jenny? Dann versuchen Sie sich vorzustellen, -wie unsere Gegenwart aussehen würde, wenn wir Frauen während der Emanzipationsbestrebung im auslaufenden zwanzigsten Jahrhundert unsere Chancen gewahrt hätten."
„Ich bin keine Träumerin."
Gail Bedomo seufzte, dann lächelte sie.
„Nichts für ungut, ich sehe, daß ich gegen den Einfluß, den Pascha Tekener auf Sie hat, keine Chance habe." Sie nickte wissend.
„Wir können auf Zwottertracht weiterreden", sagte Jenny.
In Gail Bedomos Augen blitzte es triumphierend auf.
„Habe ich mich nicht gegen Ihren Pascha durchgesetzt?" rief sie aus, und ihre Leidenschaft brach wieder aus ihr heraus. „Er wollte irgendwelche obskuren Anlagenwelten anfliegen, aber ich habe mich behauptet. Wir fliegen in die Provcon-Faust."
„Tek hat sich Jen Saliks Wünschen gebeugt", erklärte Jenny.
Aber Gail Bedomo ließ das nicht gelten.
„Papperlapapp!" sagte sie abfällig. „Das ist doch für Tekener nur ein Vorwand, um das Gesicht nicht zu verlieren. Ich betrachte es als einen persönlichen Sieg."
„Und wie stehen Sie zu Jen Salik?" fragte Jenny unvermittelt.
Zum erstenmal während des Gesprächs verlor die Entwicklungshelferin etwas von ihrer Selbstsicherheit.
„Jen Salik", sagte sie bedächtig, „ist kein Mann im negativen Sinn des Wortes. Er ist viel mehr."
Damit war das Gespräch beendet. Jennifer Thyron ging. Gail Bedomo blieb noch einige Sekunden grübelnd auf ihrem Platz, dann erhob sie sich ebenfalls und Verließ den Gemeinschaftsraum.
Jenny hatte da in einer Wunde gebohrt. Es stimmte, daß Gail etwas für Jen Salik übrig hatte, aber ihre Gefühle für ihn gingen weit über eine normale Zweier-Beziehung hinaus.
Gail wollte auf andere Gedanken kommen und wandte sich deshalb ihrer Arbeit zu. Vor der Landung auf Zwottertracht gab es noch viel zu erledigen; eigentlich hätte sie gar keine Zeit für ein Gespräch mit Jenny gehabt.
Gail hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Leute arbeiten ließ, während sie
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