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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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auf, umsorgte sie, beantwortete ihre Fragen und trocknete ihre Tränen mit Geschichten aus der Provence, seiner warmen Heimat, die er immer im Herzen trug.
    »Dort haben deine Grandmere und ich unsere ersten Jahre verbracht, dort waren wir glücklich.« Mehr als einmal schimmerten bei diesen Worten Tränen in seinen Augen. Er redete
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    stets französisch mit ihr, denn sein Deutsch war immer noch holprig, und so wurde es die Sprache ihrer Kindheit, die Sprache der Geborgenheit und ihrer schönsten Erinnerungen.
    Mit seinem Sohn Louis allerdings konnte er nicht viel anfangen.
    »Erbsenhirn, Schmetterlingsmörder«, lästerte er. »Außerdem stinkt er gar grässlich nach den Dämpfen seines Labors, als wäre er selbst eins von seinen eingemachten Tieren.« Grandpere Jean parfümierte sich stets mit würzigen Essenzen, die nach Holz, frischem Tabak und ein wenig nach Thymian rochen.
    In Gedanken schmiegte sie sich in seine Arme, aber es war ihr nicht vergönnt, sich dort auszuruhen. Ein fürchterliches Geräusch, ein qualvolles Würgen, als würde jemand sein Innerstes von sich geben, holte sie zurück.
    Mit einem Anflug von Widerwil en presste sie die Lippen zusammen, klopfte sachte an Wilmas Tür und öffnete sie gleich darauf. Es war dunkel in der niedrigen Kabine, stickige, feuchte Luft schlug ihr entgegen, ein säuerlicher Geruch nach Erbrochenem, der sie zum Husten reizte. Der dumpfe Brodem von Krankheit und ungewaschenem Körper. Nur verhalten atmend durchquerte sie den schmalen Raum, entfernte die Decke, die vor dem winzigen Bullauge hing, und öffnete es. Wilma hielt es aus Angst, dass krankheitsge- schwängerte Dünste von draußen sie vergiften könnten, immer geschlossen. Leise trat Catherine an die enge Koje heran, auf der Wilma vollständig angezogen dahingestreckt lag, und schob den Eimer, der neben ihr auf dem Boden stand, mit dem Fuß weg. Die scharf riechende Brühe darin schwappte über. Sie kräuselte die Nase. »Wie geht es dir?«, fragte sie.
    Ein schwaches Stöhnen war die Antwort. Seit sie das Schiff betreten hatte, warfen starke Anfalle von Seekrankheit Kusine Wilma immer wieder auf die Koje, sodass sie ihre dreifache Aufgabe als Gouvernante, Gesellschafterin und Lehrerin kaum erfüllen konnte. Eine Tatsache, die Catherine sehr gelegen kam. Die Grenzen, die ihr Wilma ständig setzte, beengten sie wie Korsettstäbe. Sie war in einem kleinen quadratischen Haus bei Ratzeburg aufgewachsen, und klein und quadratisch war ihre moralische Welt. Sie strich der Leidenden die nassen Haare aus dem Gesicht.
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    »Wil st du nicht ein wenig aufstehen? Ich werde den Smutje anweisen, dir eine Suppe zu kochen, oder möchtest du einen Tee?«
    »Um Himmels wil en, welch ein Gedanke«, würgte Wilma hervor, presste die Hand auf den Mund und schielte dabei nach dem Eimer. Grauviolette Ringe auf käsig weißer Haut ließen ihre Augen wie verschmierte Tintenflecken aussehen, die sonst rötlich blonden Haare schlängelten sich dunkel vor Schweiß auf Stirn und Wangen.
    »Du solltest mal aus deinem Loch hervorkriechen und frische Luft atmen, dann ginge es dir sicher besser.« Catherine versuchte, ihre Ungeduld zu verbergen. Wie konnte man sich nur so gehen lassen!
    Wilmas Antwort auf diesen Vorschlag war ein entsetzter Blick aus aufgerissenen Augen und unterdrückte Würgegeräusche.
    Ihre junge Kusine seufzte verstohlen. »Ach bitte, Liebe, ich langweile mich so ungemein. Ich habe bereits alle Bücher gelesen, die wir mitgebracht haben, einige davon schon zweimal, und alle Aufgaben gelöst, die du mir gestellt hast. Außerdem ist die Carina ein kleines Schiff mit bescheidenen Möglichkeiten der Ablenkung.« Die Sorge um ihren Vater gedachte sie vorläufig für sich zu behalten. Ihre Gouvernante neigte zu theatralischen Reaktionen.
    Die Kranke streckte eine zittrige Hand aus und deutete auf ihre Reisetasche. »Nimm dir den Zeichenblock und versuche dich daran, die Natur abzubilden, wie ich es dir gezeigt habe, nicht dieses unordentliche Gekleckse, das du immer zu Papier bringst. Du hast noch viel zu lernen.
    Oder schreib dein Tagebuch, das magst du doch so gerne, nur lass mich bitte in Frieden sterben.« Sie sank zurück. »Diese Miasmen, diese stinkenden, tödlichen Dünste, die sich aus dem Sumpf erheben ...«
    Ermattet legte sie ihre Hand auf die bleiche Stirn. »Ich bin sicher, dass das Wechselfieber sich bereits meiner bemächtigt hat. Ich fühle, dass mein Schöpfer mich ruft.« Ihre Stimme erstarb.
    »Unsinn,

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