1 - Schatten im Wasser
schüttelte dabei fassungslos den Kopf und machte deutlich, dass die Handlungen der Weißen für ihn vollkommen unverständlich waren.
Catherine zeigte auf den Baumstamm und bedeutete ihm, sich zu setzen; sie wusste, dass sie das einsame Warten jetzt nicht ertragen könnte. Er ließ sich neben ihr nieder, und sie warteten gemeinsam.
Nach einer Weile begann Sicelo, leise zu singen. Wäre Catherine seiner Sprache mächtig gewesen, hätte sie Folgendes gehört:
»Du bist stark wie Indlovu, der Elefant, das Tier der Könige, der Vorfahr der Zulus, denn du furchtest niemanden, du bist der Donner der Himmel, du bist das Lied des Windes und das Murmeln der Flüsse.« So sang Sicelo mit rauchiger Stimme, die in Catherines Ohren klang, als flüsterte ein sanfter Wind durch die Blätter der Bäume, und er bat die Seelen seiner Ahnen, seinen Freund mit der weißen Haut, den Umlungu Johann, vor der Wut des großen Wassers zu schützen.
Catherine lauschte der eintönigen Melodie, und eine Müdigkeit überfiel sie, die ihr fast den Atem nahm. Sie rutschte auf den Sand, lehnte sich an den Stamm und starrte mit trockenen Augen über die Bucht, während sie ihre tiefe Unruhe zu bezwin
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gen suchte. Doch alsbald schlossen sich ihre Lider, so sehr sie sich auch dagegen wehrte, ihr Kopf fiel nach vorn auf ihre auf den Knien gekreuzten Arme, und sie schlief ein. Sie schlief und träumte in wirren Bildern, schreckte mehrfach hoch, konnte sich aber nicht wach halten. Erst als ihr jemand über den Kopf strich und sie rief, wurde sie munter, öffnete die Augen und sah Johann und Dan vor sich stehen. Mit einem Schrei sprang sie auf und warf ihrem Mann die Arme um den Hals. »Gott sei Dank, du bist zurück. Ich hatte solche Angst um dich. War es schlimm? Du siehst zu Tode erschöpft aus.«
»Der ist zäh wie Hosenleder, den bringt nichts so schnell um«, grunzte Dan de Vil iers und warf sich der Länge nach in den warmen Sand. Er war blass unter seiner Walnussbräune, die Falten standen weiß heraus, und sein Atem ging so schnell, als wäre er hundert Stufen hinaufgerannt.
Johann verharrte in ihren Armen; er verlagerte für einen Augenblick sein ganzes Gewicht auf ihre Schultern, sodass sie einen Schritt zurücktreten musste, um ihn aufzufangen. Aber gleich darauf richtete er sich wieder auf und streichelte ihr übers Gesicht. »Ach was, das gibt sich wieder. Unkraut vergeht nicht.« Dann begrüßte er seinen schwarzen Freund mit einem innigen Händedruck, war so erleichtert, dass er seiner Stimme kaum traute.
»Musstest dich wieder wichtig machen, alter Gauner, was?«, krächzte er mit glücklichem Lächeln.
Sicelo lachte breit. »Nur ein Umlungu ist so dumm, zu glauben, dass er ein Fisch ist.«
Trotz seiner Erschöpfung musste Johann lachen. Rasch übersetzte er die Worte für Catherine und war froh, als ein Lächeln auch ihr abgespanntes Gesicht erhellte.
»Konntet ihr in den Frachtraum gelangen?«, fragte sie. »Habt ihr etwas aus dem Wrack retten können? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du es in diesem Seegang überhaupt bis zur White Cloud geschafft hast. Mein Gott, was ist dir passiert?« Erst jetzt fiel ihr auf, dass sein Hosenbein blutdurchtränkt war.
»Der Sturm hat so viel Sand aufgeworfen, dass wir zu Fuß die Sandbank überqueren und an den Strand des Bluff gelangen 250
konnten, nur die letzte Strecke hinüber zum Schiff war unangenehm.« Er grinste schief. Die Verletzungen in seinem Gesicht bluteten wieder, in seinen verfilzten Haaren trocknete das Meeressalz zu weißen Körnern.
»Wir sind ein paar Mal gegen sehr harte Kanten geschleudert worden.
Morgen werde ich überall blaue Flecken haben.« Er rollte seine Hose hoch und entblößte eine lange und ziemlich stark blutende Schnittwunde mit sauberen Rändern, so als hätte ein Chirurg Haut und Muskeln aufgetrennt.
»Eh, Indlovu mkhulu, großer Elefant«, rief Sicelo deutlich besorgt und untersuchte mit zarten Fingern die klaffende Wunde. Johann verzog das Gesicht, als sein Freund die Haut drückte, um zu sehen, ob der Bereich geschwollen war. Vorsichtig zog er sie auseinander und nickte, dann folgten mehrere schnelle Sätze auf Zulu, und er verschwand zwischen den Büschen.
»Yebo«, stimmte Johann nachträglich zu und tupfte das Blut mit einem Zipfel seines Ärmels ab. »Die Verletzung geht nicht bis zum Knochen hinunter«, erklärte er seiner Frau. »Sicelo sucht eine bestimmte Pflanze, die das Blut stil t, sonst entzündet sich der Schnitt, und der
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