1 - Schatten im Wasser
Mitten in der Gischt mühte sich Mr. Robertson, mit einem langen Stock einen größeren, hölzernen Kasten an Land zu ziehen, der mit jeder auflaufenden Welle fast bis vor seine Füße kullerte. Mannhaft sprang er darauf zu, aber ehe er der Kiste habhaft werden konnte, zog das ablaufende Wasser sie mit boshaftem Glucksen wieder weit hinaus. Das neckische Spiel wurde hektischer, und Mr. Robertson geriet mit jedem mutigen Satz tiefer ins Meer, bis ihn eine hohe Welle umwarf und ihn unter die Gischt zog.
»Landei«, knurrte Johann und stürzte hin, langte aufs Geratewohl ins Wasser und erwischte Tim Robertson gerade noch am Kragen. Der tauchte mit krebsrotem Gesicht aus dem weißen Schaum. Johann setzte ihn am Strand ab und fischte zusammen mit Dan auch die Kiste heraus. Sie war ziemlich schwer. »Wenn Sie nicht schwimmen können, sollten Sie sich vom Meer fern halten. Was ist so Wichtiges in dem Kasten, dass Sie Ihr Leben dafür riskieren?«
Mr. Robertson stammelte seinen feuchten Dank. »Mein Setzkasten.
Meine kleine Druckpresse liegt weiter dahinten«, erklärte er. »Ich plane, eine Zeitung herauszugeben. Nicht auszudenken, wenn ich ihn verloren hätte. Wahrheit ist unser kostbarstes Gut, sie muss allen zugänglich sein, denn eine Gesellschaft kann ohne die Wahrheit nicht funktionieren.« Er war einen Kopf kleiner als Johann, aber kompakt und so muskulös, dass seine dunkle Jacke überall spannte. Er hatte blasse Haare, blasse Augen und blasse Haut, auf den ersten Blick war er nicht bemerkenswert, aber er schien zu wachsen, als die Liebe zu seinem Beruf aus seinen Augen glühte. »Im Übrigen kann ich schwimmen, doch ich bin nur mit den Wellen der Nordsee vertraut, ich habe, wie ich zugeben muss, die Unterströmung und die Gewalt des Seegangs unterschätzt.« Mit beiden Händen wischte er sich die nassen Haare aus der Stirn. »Ich hoffe, Ihr Verlust ist nicht zu groß?«
»Wir sind am Leben«, wich Johann aus und wunderte sich zum wiederholten Mal, welch nutzloses Zeug die Einwanderer 243
mitschleppten. »Statt eines Setzkastens und einer Druckpresse hätte er lieber Saatgut mitbringen sollen, das wäre nützlicher«, bemerkte er zu Catherine, als er zusammen mit Dan die Kiste durch die buschbewachsenen Dünen zurück zum Landeplatz trug. Den zerstörten Pflug musste er später holen. Catherine konnte ihn unmöglich durch den weichen Sand ziehen.
Sie schüttelte den Kopf. »Das finde ich nicht. Eine Zeitung fördert den Zusammenhalt einer Gesellschaft, schmiedet sie zu einer Einheit, gibt ihr gewissermaßen eine Identität.« Verstohlen lockerte sie ihr Oberteil. Der Baumwollstoff war vom Salz klebrig und steif. Sie sehnte sich nach einem Bad, viel Seife und frischer Kleidung. Und nach einem schönen weichen Bett.
Johann warf ihr einen verständnislosen Blick zu. »Identität?«
»Wir, die Einwohner von Natal gegen den Rest der Welt, so etwas«, erklärte sie. »Außerdem erfährst du Tratsch und Klatsch aus jeder Ecke des Landes, was sehr unterhaltsam sein kann.«
Identität. Sie hatte Recht, und es beeindruckte ihn, immer wieder neue Fähigkeiten seiner Frau zu entdecken. Das Leben mit ihr würde nie langweilig werden. Es würde ein Vergnügen sein, mit ihr die rhetorischen Klingen zu kreuzen, sie im Schachspiel herauszufordern und gemeinsam Bücher zu lesen. Eben wollte er in der Vorstellung schwelgen, abends mit ihr nach einem reichlichen Abendessen im Schein seiner neuen Petroleumlampe auf der Veranda zu sitzen und Schach zu spielen, als ihn die Tatsache, dass eben die Petroleumlampe jetzt auf dem Grund des Meeres lag, wieder in die Wirklichkeit zurückholte. Niedergedrückt trottete er mit gesenktem Kopf weiter.
Auch die Einwanderer waren bleich, vielen glänzten Tränen in den Augen, und ihre Stimmen hatten den klagenden Ton von Waldkäuzchen, ihre Haltung zeigte das Untröstliche von Menschen, deren Lebenstraum brutal zerschlagen wurde
Am Landeplatz setzten Johann und Dan ihre Last ab. Gresham und Strydom gingen hinüber ins Zollhaus, um herauszufinden, wie weit die Formalitäten geklärt waren und ob sie mit dem Abtransport der Schiffbrüchigen beginnen konnten. Catherine sank neben ihren Reisetaschen auf einen angeschwemmten
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Baumstamm. Der älteste Sohn Robertsons hatte sie treulich bewacht, und sie wünschte, dass sie eine Süßigkeit für ihn hätte, aber so konnte sie ihm nur dankbar den Kopf tätscheln. Der Kleine trollte sich. »Was passiert nun?«, fragte sie Johann und drehte ihre
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