1 - Schatten im Wasser
schüttelte nur stumm den Kopf und nahm sich vor, ihm nicht zu gestehen, dass sie sich bereits rettungslos verirrt hatte.
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Inzwischen hatten sich die anderen Gäste eingefunden, durchweg Männer. Die Frauen waren offenbar auf Inqaba geblieben. Mit steinerner Miene musterten sie die junge Frau Steinach, die im Herrensitz auf ihrem Pferd saß, und streiften ihre Beine, die bis zu den Waden entblößt waren, mit verstohlenen Blicken. Einer nach dem anderen tippte an seinen Hut und begrüßte sie knapp. Sie vermieden dabei, ihr in die Augen zu sehen.
Catherine hatte sich noch nie in ihrem Leben so gedemütigt gefühlt, so jämmerlich und klein, und das Schlimmste war, dass sie wusste, dass Johann Recht hatte. Sie hatte tatsächlich mit unbeschreiblicher Naivität gehandelt. Nein, korrigierte sie sich, ein letztes Restchen von Selbstachtung wahrend, es war, wie er gesagt hatte, unbeschreiblich dumm gewesen. Ihr Stolz in Scherben, folgte sie ihm mit gesenktem Kopf.
Verlegen schob sie ihr rechtes Bein über den Sattel, rutschte in den Damensitz und bedeckte sorgfältig ihre Beine. Bis sie auf den Hof von Inqaba ritten, sprach niemand ein Wort mit ihr.
*
»Himmel, Sie sehen ja wie das Lamm aus, das man zur Schlachtbank führt.
Die Herren haben sich offenbar mal wieder von ihrer ruppigsten Seite gezeigt.« Die Stimme war kräftig, die Hand, die den Zügel aus Johanns Hand nahm, auch. Strahlend blaue Augen unter einem kurzen Haarschopf, der wie helles, poliertes Silber leuchtete, ein breites Lächeln.
Catherine glaubte für einen Moment einen Mann vor sich zu haben, bis sie genauer hinschaute. Die Frau war groß und gut gebaut, irgendwo zwischen fünfzig und sechzig, in glänzendes Schwarz gekleidet, und al e ihre Fingernägel waren abgebrochen.
»Seien Sie uns wil kommen, meine Liebe. Ich bin Emilie Arnim, und das«, ihre Handbewegung umfasste fünf Frauen, die hinter ihr aufgetaucht waren, »das sind Ihre neuen Nachbarinnen. Wir freuen uns ungemein, Sie kennen zu lernen. Wir Frauen im
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Busch sind eine verschwindende Minderheit in diesem Männerland.
Kommen Sie, Sie müssen ja fürchterlichen Hunger haben nach so einem langen Ausritt.« Mit kräftigem Griff half sie ihr aus dem Sattel.
Catherine schüttelte ihren Rock aus und strich ihn glatt, bis er auf ihre Füße fiel. Emilie Arnim war größer als sie, und ihr Gesicht wirkte wie eine Landkarte ihres Lebens. Es war von klarem Schnitt und nicht von vornehmer Blässe, wie es in Europa als schön galt, sondern sonnengebräunt und mit Runzeln wie das einer Bauersfrau. Tiefe Lachfalten und Grübchen in den Wangen zeugten von ihrem fröhlichen Wesen. Catherine fühlte sich sofort zu ihr hingezogen.
Johann machte einen Schritt auf seine Frau zu, wollte ihr erneut erklären, wie gefahrlich ihr Unterfangen gewesen war, aber Emilie Arnim hielt ihn zurück. »Lass sie sich erst einmal waschen und etwas essen und überlege dir, warum sie heute weggelaufen ist. Denke daran, dass sie die Gefahren im Busch überhaupt nicht einschätzen kann. Es wäre an dir gewesen, sie rechtzeitig damit bekannt zu machen. Außerdem war es gedankenlos von uns, sie einfach so zu überfallen. Das verschreckt ja den stärksten Charakter, besonders nach dem, was das arme Kind in der letzten Zeit durchgemacht hat. Nein, ihr könnt euch später mit der Hausfrau bekannt machen«, wehrte sie auch die herbeiströmenden anderen Gäste ab und ging Catherine voraus. Sie kannte sich in dem Haus der Steinachs bestens aus. Während des Baus hatte sie Johann, den sie als ihren Adoptivsohn betrachtete und auch so behandelte, mehr als einmal Essen gebracht, weil dieser dazu neigte, derartige elementare Notwendigkeiten zu vergessen.
Die Buschtrommel scheint hier bestens zu funktionieren, dachte Catherine, alle wissen alles über mich. Nur ich weiß nichts. Aber sie folgte der älteren Frau dankbar. Etwas an ihr erweckte sofort Vertrauen.
Energisch öffnete Emilie Arnim die Tür zu dem Schlafzimmer der Steinachs und verdrehte die Augen, als sie das zerwühlte Bett, die verstaubten Möbel in Augenschein nahm. »Ich werde 357
hier mal ein wenig Ordnung schaffen. Sie, mein Kind, lassen mich walten und ziehen sich um. Gleich gibt es etwas Gutes zu essen, und dann sieht die Welt ganz anders aus.« Schweigend klopfte Emilie Arnim die Matratze aus, wendete sie und machte das Bett. Mit dem feuchten Handtuch, mit dem sich Catherine eben abgetrocknet hatte, wischte sie rasch über alle Möbel, betrachtete das
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