1 - Schatten im Wasser
Catherines Blick.
Sie senkte den Kopf, als hätte sie einen Schlag bekommen.
»Das ist ja wohl das Gefühlloseste, was ich je gehört habe«, rief Wilma erbost. »Wie können Sie der Baronesse so etwas antun.«
»Es ist schon in Ordnung, Wilma.« Catherine hatte Schwierigkeiten mit ihrer Stimme. Ihre Kehle schien sich zugezogen zu haben. »Der Kapitän hat Recht. Mein Vater ... mein Vater braucht seine Kabine nicht mehr. Es ist in Ordnung, Kapitän, schicken Sie jemanden, der mir hilft, seine Sachen hinüber zu mir zu bringen.«
»Wird gemacht, gnädiges Fräulein.« Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er zwei Matrosen heranwinkte.
Nach Einbruch der Dunkelheit wurde Catherine von Stimmen und Geräuschen eines anlegenden Bootes aufgestört. Neugierig kletterte sie auf den Stuhl und spähte aus dem Bullauge. Ein Kanu war längsseits gekommen, und mehrere Gestalten wuchteten einen eingehüllten Gegenstand direkt an ihrer Nase vorbei an Bord. Die Decke verrutschte einmal, und sie sah den matten Schimmer von Elfenbein im Mondlicht.
Dreißig Stoßzähne von schöner Größe zählte sie, und die Tatsache, dass sie *
heimlich zum Schiff gebracht wurden, sagte ihr, dass es geschmuggelte Ware sein musste. Nachdenklich stieg sie vom Stuhl herunter, beschloss, diesen Vorgang im Hinterkopf zu behalten. Nur so. Man konnte ja nie wissen.
83
Eine Woche blieben sie in Loanda, eine Woche, in der Catherine nur einmal von Bord ging, um den Brief an Konstantin mit einem anderen Schiff zurück nach Europa zu schicken. Er war versiegelt und wie die anderen, die sie im Laufe ihrer Reise an ihn geschrieben hatte, an Wilhelm von Sattelburg adressiert. Ein zweiter Brief ging an Adele, um sie über den Tod ihres Bruders zu unterrichten. Sie hatte sich auf wenige Tatsachen beschränkt, ersparte ihr die Einzelheiten seines schrecklichen Sterbens und versprach ihr zu schreiben, sobald sie wusste, wo sie in Kapstadt unterkommen würde.
Gelegentlich spielte sie Schach oder Dame mit Wilma oder ließ sich von ihr vorlesen. Meist aber stand sie stundenlang im Bug, sah dem Treiben in der Bucht zu und hing dabei ihren Gedanken nach, froh, dass man sie in Ruhe ließ. Am Abend des siebten Tages stiegen ein leise sprechender Mann in Missionarstracht, seine spatzenkleine Frau und zwei ernste junge Mädchen, alle schwarz gekleidet und bleichsüchtig, als weitere Passagiere an Bord. Sie grüßten mit sanfter Stimme und begaben sich sofort nach unten. Als sich am nächsten Morgen die Sonne über den Horizont schob, hatte die Carina bereits abgelegt und nahm unter vollen Segeln Kurs nach Süden.
Die Missionarsfamilie verbrachte die überwiegende Zeit in ihrer Kabine.
Catherine war es recht. Sie wollte allein sein, ihr stand nicht der Sinn nach oberflächlicher gesellschaftlicher Konversation und schon gar nicht nach dem salbungsvollen Mitgefühl dieser Kirchenleute.
* .
Schon lange befanden sie sich jetzt auf offenem Meer, doch die erhoffte Abkühlung hatte es nicht gebracht. Seit fast einer Woche dümpelten sie in einer Flaute, die Segel hingen schlaff, die See war glatt und bleiern, die Hitze unerträglich. Das Schiff trieb in dieser glühend weißen Welt, um sie herum war nur Wasser, das Auge fand keinen Punkt, an dem es sich festhalten konnte. Das Knarren der Holzplanken, der Masten und 84
gelegentliche Worte der Matrosen vertieften nur die drückende Stil e.
Tage später, nach ihrer Rechnung musste es der letzte Sonntag im Mai sein, entdeckte Catherine kurz nach dem Aufwachen über ihnen ein dahinsegelndes Wölkchen. Ein erquickender Wind fuhr wie ein munterer Kobold durch die Takelage, zerrte ein wenig am Segeltuch, als wolle er damit spielen. Gegen Mittag war er so stark geworden, dass sich die Segel blähten, das Schiff nur so dahinflog und sogar der brummige Kapitän lächelte.
Bald aber quoll das Wölkchen zu einem riesigen, schwarzen Wolkenberg auf und verdunkelte die Welt. Er tat sich auf, und Wasser stürzte auf sie herunter wie aus einer Badewanne, zerhämmerte die Oberfläche des Ozeans und löschte alle Sicht aus. Es gab nur noch das Schiff und das mächtige Brausen des Regens.
Aufgeregt trommelte sie Wilma aus dem Dämmerschlaf, zwang sie, sich anzuziehen und mit an Deck zu gehen. Der starke Regen wusch das Salz aus ihren Kleidern und Haaren, reinigte ihre Haut und ihr Gemüt; Wilma lebte auf, und zum ersten Mal nach dem Tod ihres Vaters bekam Catherine wieder ein Gefühl für sich selbst.
An diesem Tag
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