1 - Schatten im Wasser
zusammenstellen und den Zeichnungen beilegen.
Schreiben war ihre zweite Leidenschaft. Reisen war teuer und beschwerlich, und nur wenige konnten es sich leisten. Deswegen wurden Reiseberichte immer gern gelesen und nicht schlecht bezahlt, wie sie wusste.
Von dieser Aussicht erheblich aufgemuntert, blickte sie vom Bug hinunter auf die Wellen. Eine Schule Delphine spielte unter 89
ihr im glasklaren, tiefblauen Wasser, sie sprangen meterhoch in die Luft und lächelten ihr dabei zu. Der Horizont flammte auf, die Sonne stieg in einem Feuerkranz aus dem Meer und übergoss die Welt mit Licht. Der neue Tag verhieß, ein wunderbarer zu werden.
*
Etwa eine Woche später, südlich der Sonne näherten sie sich der berüchtigten Passage, die sie an der südwestlichen Küste Afrikas vorbeiführen würde und die alle Seeleute wegen ihrer Winterstürme mehr fürchteten als den Teufel. Schon jetzt waren die Wellen spürbar größer, der Wind blies stärker und eiskalt, und gelegentlich öffnete sich der Himmel, und es schüttete. Sie fror. Das Schiff rollte gewaltig. Vorsorglich zurrte sie ihre Habseligkeiten in der Kabine fest, so gut es ging. Ein flüchtiger Schwefelgeruch stieg aus den Sachen ihres Vaters auf, und wieder saß ihr dieser Gestank nach toten Pflanzen und Fischen, fauligem Schlamm und Verwesung in der Nase, der sie immer an die Stunde seines Sterbens und den Augenblick, als ihn das Wasser verschlang, erinnern würde. Nach dieser Reise, schwor sie sich, würde sie so schnell kein Schiff mehr besteigen.
Der Kabinenboden hob und senkte sich, kippte mal nach links, mal nach rechts. Mit einem letzten Blick kontrollierte sie, ob sie alles gesichert hatte, bevor sie die Tür sorgfaltig verschloss und zu Wilma hinüberging.
»Arme Wilma«, flüsterte sie, als sie sah, in welcher Verfassung sich ihre Gesellschafterin befand. Sie lag in ihrer Koje, bestand nur noch aus Haut und Knochen und sah aus wie ein Gespenst. Zum ersten Mal kamen ihr Zweifel, ob Wilma die Strapazen der Reise wirklich überleben würde. Stil saß sie neben der Kranken und hielt ihre eiskalte, schweißnasse Hand, als der Maat den Niedergang hinunterbrüllte, dass das Schiff geradewegs in einen Sturm segelte. Der Kapitän wünschte, dass sie in ihren Kabinen bleiben sollten.
Catherine führ hoch und sah das Schiff schon untergehen, sie selbst in der kleinen Kabine gefangen, während Wasserberge 90
durch alle Öffnungen stürzten und sie begruben. Sie schnappte nach Luft, als wäre sie bereits am Ertrinken. »Wilma, aufstehen, komm, wir müssen an Deck gehen, hier ist es zu gefährlich«, rief sie und versuchte, ihre Gouvernante aus der Koje zu zerren.
Diese jedoch sträubte sich so entschlossen, dass sie verzweifelt von ihr abließ. In Windeseile sicherte sie Wilmas Habseligkeiten, band die Kranke selbst mit dem Gürtel ihres Morgenmantels am Geländer ihrer Koje fest und rannte in ihre eigene Kabine. Das Schiff rollte bereits bedrohlich. Schnell entschlossen zog sie eine der Hosen ihres Vaters an. Sollten sie sinken, hätte sie, in Röcke gekleidet, keine Chance. Der schwere Stoff würde sich voll saugen und sie hinunterziehen in die schwarzen Tiefen. Eisern zwang sie sich zurück in die Wirklichkeit, als ihre Einbildungskraft in Panik umzuschlagen drohte. Auch das engste Loch des Hosengürtels war viel zu weit für ihre zierliche Gestalt. Kurzerhand schnitt sie die Kordel des Kojenvorhangs ab, fädelte sie durch die Gürtelschlaufen und verknotete sie.
Ihre Schuhe konnte sie nicht finden, sie krempelte blitzschnell die Hosenbeine über ihren nackten Füßen auf Knöchellänge hoch und schlüpfte in Papas Wetterjacke. Sie nahm ihren Schal und verließ hastig ihre Kabine.
Sie musste auf Händen und Füßen die schmale Stiege zum Deck hinaufkriechen, so stark schlingerte das Boot bereits. Mit dem vollen Gewicht ihres Körpers stemmte sie sich gegen die Luke, konnte sie gegen den Sturm kaum halten. Der Regen schlug ihr schmerzhaft ins Gesicht, der Orkan heulte um die Schiffsaufbauten, als wären Mil ionen armer Seelen aus der Hölle entkommen. In Sekunden war sie bis auf die Haut durchnässt, und der eisige Winterwind stach mit tausend Nadeln selbst durch die schwere Jacke. Das Schiff bockte und stampfte unter ihren Füßen wie ein wild gewordenes Pferd.
Der Kapitän hielt sich im Ruderhaus auf. Zwei Mann standen neben ihm am Ruder, knallrot angelaufen vor Anstrengung, das Schiff auf Kurs zu halten. »Gehen Sie zurück unter Deck!«, brüllte er
Weitere Kostenlose Bücher