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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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würde sie vorerst überleben können. Sie befingerte den ausgebleichten Stoff ihres blauen Baumwollkleides und überlegte, wie lange der noch halten würde. Zumindest war sie nicht gezwungen, den Erstbesten zum Mann nehmen. Voraussetzung allerdings war, dass sowohl sie als auch Wilma sich in Kapstadt niederlassen würden.
    Sonst würde die Summe, die ihr noch blieb, wenn sie ihre Passagen nach Deutschland und Wilmas ausstehendes Gehalt abzog, so gering sein, dass sie kaum davon würde existieren können. Die Kerze war nun ganz heruntergebrannt, flackerte auf und erlosch mit leisem Zischen. Gäh-87
    nend stand sie auf und streckte sich; sie verspürte das Bedürfnis nach frischer Luft.
    An Deck umfing sie tiefblaue Dunkelheit. Der Steuermann war auf seinem einsamen Posten, sie nickte ihm im Schein der Positionsleuchten zu und tastete sich zum Bug. Das Deck hob und senkte sich in der langen Dünung, bis auf das schläfrige Knarren des Holzes war es stil . Es war eine klare Nacht, Mondlicht floss silbrig über das Meer, warme Luft streichelte ihre Haut. Über ihr funkelte der diamantbesetzte Baldachin des südlichen Sternenhimmels, das Kreuz des Südens zeigte ihr den Weg, den das Schiff nahm. Sie lehnte mit dem Rücken am Mast, und allmählich fiel die Anspannung der letzten Wochen von ihr ab. Lange stand sie so, ließ ihre Gedanken frei zwischen Vergangenheit und Zukunft wandern.
    Bald kündigte ein pflaumenfarbener Widerschein über dem Horizont den nahenden Sonnenaufgang an. Die Sterne verblassten immer mehr, das nächtliche Blau zerlief in Türkis, und der erste Fliegende Fisch klatschte auf die Holzplanken. Sie streckte sich, führ sich mit beiden Händen durchs Haar und fühlte sich, als wäre sie von einem erholsamen Schlaf aufgewacht. Die dunkle Last, die sie seit dem Tag, als der Körper ihres Vaters in den Fluten versunken war, beschwerte, war leichter geworden.
    Sie hatte eine Entscheidung getroffen.
    Nach Deutschland würde sie nur zurückkehren, wenn es keinen anderen Ausweg gab. Das Haus in Hamburg mit dem umliegenden Land gehörte zur Hälfte ihrer Tante, die andere Hälfte hatte ihrem Vater gehört. Sie würde kaum ihren Teil einfordern können, obwohl der einen nicht unbeträchtlichen Wert darstellte. Aber mit Adele unter einem Dach wohnen? Bei der Vorstellung, den Rest ihres Lebens mit dieser verbitterten Frau zu verbringen, überfiel sie das Gefühl zu ersticken. Sie musste warten, bis sich ihr Dilemma auf natürliche Weise löste. Erst nach Ade- les Tod würde sie ihre Haushälfte verkaufen können. Die Möglichkeit, dass ihr die Tante, die ein sehr starkes Gefühl für Familie und Besitz besaß, ihre Hälfte auch vererben würde, war zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Adele hegte keine
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    Liebe für ihre Nichte, aber sie wäre in dem Falle schließlich die letzte lebende le Roux.
    Doch obwohl sie mit dem Wert zumindest des halben Le- Roux-Hauses im Rücken eine angenehme finanzielle Sicherheit für spätere Zeiten besaß, würde sie sich wohl an den Gedanken einer Heirat doch gewöhnen müssen, wollte sie nicht den steinigen Weg des Gouvernantendaseins beschreiten. Darüber war sie sich klar geworden. Wobei die Frage, ob sie sich überhaupt dafür eignete, auch noch zu beantworten war. Auch das sah sie ein. Ihre Bildung konnte kaum als eine klassische bezeichnet werden.
    Eine Bestandsaufnahme ihrer Fähigkeiten war unangenehm schnell gemacht.
    Sie sprach Französisch, Deutsch und Englisch. Letzteres allerdings nicht so fließend wie die beiden anderen Sprachen, die ihre Vater- und Muttersprache waren.
    Ich kann schwimmen wie ein Fisch und werde nicht seekrank, zählte sie an ihren Fingern ab, ein unschätzbarer Vorteil, wenn man über die Weltmeere segelt, an Land jedoch von untergeordneter Bedeutung. Kochen kann ich nicht, Nähen, Sticken und Stricken langweilen mich. Das Einzige, was ich wirklich kann und was mir gleichzeitig Spaß macht, ist Malen. Die Bemerkungen ihres Vaters hinsichtlich der Qualität ihrer Zeichnungen hatte sie verdrängt. Sie beschloss, Salvatore Strassberg zu bitten, ihr Aufträge zum Il ustrieren von naturkundlichen Büchern zu geben. Die Vorstellung gefiel ihr außerordentlich. Würde das der Weg sein, der sie vor dem Käfig der Ehe bewahren könnte? Noch heute würde sie eine Mappe mit Zeichnungen und Aquarellen anlegen, die sie von Kapstadt aus an Herrn Strassberg schicken konnte. Außerdem würde sie aus ihrem Tagebuch einen Bericht ihrer Reise

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