1 - Schatten im Wasser
große Enttäuschung. Sie dämmert in ihrer Koje. Sie jammert. Wo wir doch nichts ändern 80
können! Es macht mich wütend. Ich bin so allein, möchte mit ihr reden, darüber sprechen, wie die Welt draußen aussieht, die richtige, nicht Papas Welt, die unter einem Mikroskop Platz fand.«
Nur einmal verlor sie ihre Haltung gegenüber der Gouvernante. »Wenn Jammern denn meinen Papa wiederbringt, uns Wind beschert und die Hitze mildert, dann werde ich lauter jammern als du. Reiß dich endlich zusammen«, schrie sie die Kranke an.
Aber es half nichts, Wilma stöhnte nur umso geräuschvoller, und Catherine entschuldigte sich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Warum hast du vor allem Angst?«, fragte sie, neben Wilmas Bett stehend. »Du hast Angst vor lauten Geräuschen und vor Tieren, sind sie auch noch so klein und harmlos. Ich glaube, du wünschst dir insgeheim Krankheiten herbei, weil du eigentlich Angst vorm Leben hast. Und vor Männern«, setzte sie spitz hinzu. Wilma hatte sie an den Rand ihrer Geduld getrieben.
Seit sie ohne männlichen Schutz allein zwischen den rauen Matrosen an Bord waren, war Wilma voller dunkler Andeutungen, wessen diese fähig waren. Jede Nacht verrammelte sie ihre Tür, indem sie einen Stuhl unter die Klinke schob, weil sie befürchtete, dass einer dieser ungehobelten Kerle, wie sie die Matrosen Catherine gegenüber immer bezeichnete, in der Dunkelheit über sie herfallen könnte. »Wir sind ihnen schutzlos ausgeliefert, wer weiß, was sie uns antun werden. Wenn sie getrunken haben, sind sie wie Tiere«, zitterte die Gouvernante.
»Nichts wird uns passieren. Ich bin überzeugt, dass der Kapitän ein ehrbarer Mann ist.«
Doch später, als sie allein war in ihrer Kabine, löste sie den Speer aus seiner Halterung und prüfte die Spitze mit ihrer Fingerkuppe. Obwohl die Berührung nur leicht war, verletzte sie sich. Ein winziger Blutstropfen quoll hervor. Zufrieden legte sie die Waffe griffbereit neben ihr Bett. Man konnte schließlich nie wissen.
81
KAPITEL 3
«
Kaum hatten sie Anker vor Säo Paulo de Loanda geworfen, paddelte eine Flotte kleiner Boote und Einbäume, die mit Früchten, lebenden Tieren und getrockneten Fischen beladen waren, zu ihnen herüber. Catherine stand an der Reling und schaute den Händlern zu, die, fröhlich durcheinander rufend, ihre Waren anpriesen. Sie luden Kakaobohnen, Dörrfisch und Proviant in Form von aufgeregt gackernden Hühnern, die in einem geflochtenen Korb zusammengepfercht waren. Zwei Männer brachten ein an den Füßen zusammengebundenes schwarzes Schwein, das bis zu seiner Bestimmung als Braten in einem Verschlag an Deck leben sollte, den der Kapitän dafür hatte errichten lassen.
Wilma raffte sich auf und kam nach oben. Sie begrüßte Catherine und quälte sich ein Lächeln ab. »Guten Morgen, meine Liebe. Seit wir hier ankern, fühle ich mich tatsächlich erheblich besser. Du scheinst also Recht gehabt zu haben. Nun, hier ist ja ein munteres Treiben.« Sie schaute sich um. »Was um Christi wil en ist denn das?« Sichtlich entsetzt zeigte sie auf das Kanu unter ihnen, das gerade entladen wurde.
Catherine blickte hinunter. Der blutige Kopf eines Goril as, der in einem Graskorb auf seinen abgetrennten Armen, Beinen und Innereien lag, grinste zu ihr hinauf. »Die Eingeborenen nennen es Buschfleisch.«
Wilma wurde grünlich um die Nase. »Mein Gott, sieh nur, wie er lacht, und seine Augen. So entsetzlich menschlich. Und der Kopf... wie ...?«Ihre Stimme versagte.
»Sie essen die Augen, gekocht, wie wir Eier essen, und schneiden dem Vieh die Schädeldecke auf und löffeln das Gehirn aus.« Es bereitete ihr ein ganz unheiliges Vergnügen, Wilma ein wenig aus der Fassung zu bringen, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie in Afrika die Essgewohnheiten in dieser Hinsicht waren.
82
Wilma übergab sich geräuschvoll ins Wasser. Catherine entschuldigte sich reumütig, und gemeinsam genossen sie die Aussicht auf das quirlige Leben im Hafen von Loanda, deren prächtige Kathedrale in der Nachmittagssonne golden übers Meer leuchtete. Unter ihnen packten die Händler, offensichtlich zufrieden mit dem Tagesgeschäft, ihre restlichen Waren zusammen und paddelten wieder an Land.
Der Kapitän trat zu ihnen an die Reling und räusperte sich mit allen Anzeichen von Verlegenheit. »Ich hätte da eine Familie, die eine Passage nach Kapstadt verlangt. Kann ich ihnen die Kabine Ihres Vaters geben? Er braucht sie nun ja nicht mehr.« Entschlossen mied er
Weitere Kostenlose Bücher