Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
durchs Zwielicht spähte. Jetzt hätte ich eigentlich die Aura des Magiers sehen müssen, doch um mich herum breitete sich nur graue Leere aus, gesprenkelt mit den Farbtupfern gewöhnlicher Auren, von zufriedenen, besorgten, sinnlichen, betrunkenen, fröhlichen Auren.
    Er würde doch nicht durch die Kanalisation gesickert sein!
    Einzig jenseits der Mauern des Gebäudes, in der Nähe der weißrussischen Botschaft, leuchtete ein schwaches kleines Feuer, die Aura eines Anderen. Jedoch nicht die des Dunklen Magiers, sondern eine viel schwächere mit anderer Einfärbung.
    Wohin war er verschwunden?
    In dem schmalen Gang, der zu zwei Türen führte, war niemand. Einen Augenblick zögerte ich – ach, was soll schon sein, vielleicht haben wir ihn einfach nicht bemerkt, vielleicht ist der Magier durchs Zwielicht verschwunden, vielleicht verfügt er über eine derartige Kraft, dass er zur Teleportation in der Lage ist. Dann öffnete ich die Tür zur Herrentoilette.
    Hier war es sehr sauber, sehr hell, etwas eng und roch stark nach einem blumigen Frischluftspray.
    Der Dunkle Magier lag mit ausgestreckten Armen direkt hinter der Tür, die sich deshalb noch nicht einmal richtig öffnen ließ. Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein verstörter, verständnisloser Ausdruck wider. In der gespreizten Hand erblickte ich das Glitzern eines dünnen Kristallröhrchens. Er hatte nach seiner Waffe gegriffen, aber zu spät.
    Blut war nirgends zu sehen. Nichts war zu sehen, selbst als ich noch einmal durchs Zwielicht spähte, vermochte ich nicht die geringste Spur von Magie festzustellen.
    Als ob der Dunkle Magier an einem banalen Herzinfarkt oder Schlaganfall gestorben wäre, als ob er so hätte sterben können.
    Doch es gab ein Detail, das dieser Version aufs Entschiedenste widersprach.
    Ein kleiner Schnitt im Hemdkragen. Ein ganz feiner, wie von einer Rasierklinge. Als ob man ihm ein Messer in die Kehle gestoßen hätte und dabei am Stoff hängen geblieben wäre. Nur dass an der Haut keinerlei Spuren eines solchen Angriffs zu sehen waren.
    »Dreckskerle!«, flüsterte ich, ohne zu wissen, gegen wen sich dieser Fluch richtete. »Dreckskerle!«
    Man hätte sich kaum eine blödere Situation vorstellen können als die, in die ich geraten war. Den Körper zu tauschen, mit einer »Zeugin« in ein gut besuchtes Restaurant zu gehen – um dann völlig allein über der Leiche eines Dunklen Magiers zu stehen, der vom Wilden ermordet worden war.
    »Gehen wir, Pawlik«, hörte ich es hinter mir sagen.
    Ich drehte mich um: Die Frau vom Tisch des Dunklen Magiers kam in den Gang, ihren Sohn an der Hand.
    »Ich will nicht, Mama!«, quengelte der Junge bockig.
    »Du gehst da rein und sagst Papa, dass wir auf ihn warten«, verlangte die Frau geduldig. Im nächsten Moment hob sie den Kopf und erblickte mich.
    »Holen Sie Hilfe!«, schrie ich verzweifelt. »Machen Sie schon! Dem Mann geht es nicht gut! Bringen Sie das Kind weg und holen Sie Hilfe!«
    Offenbar hörten mich alle, denn Olga hatte eine kräftige Stimme. Sofort senkte sich Stille herab, die monotone traditionelle Musik dudelte zwar weiter, doch das Stimmengewirr verebbte.
    Natürlich machte die Frau nicht, was ich verlangte. Sie schoss auf mich zu, stieß mich von der Tür weg, brach über dem Körper ihres Mannes zusammen und wehklagte – ja, wehklagte – mit einer Stimme, die bereits wusste, was geschehen war, während ihre Hände keine Ruhe gaben, den eingerissenen Hemdkragen aufknöpften und den reglosen Körper rüttelten. Schließlich ohrfeigte die Frau den Magier, als hoffe sie, er spiele ihr nur etwas vor oder sei lediglich ohnmächtig geworden.
    »Mama, warum haust du Papa?«, rief der Junge mit dünner Stimme. Nicht erschrocken, sondern erstaunt, offensichtlich hatte er dergleichen noch nie erlebt. Eine liebevolle Familie.
    Ich packte den Jungen bei der Schulter und führte ihn behutsam weg. Im Gang drängten sich bereits Menschen zusammen. Ich erblickte Sweta. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie hatte sofort alles begriffen.
    »Bringen Sie das Kind weg«, bat ich den Kellner. »Offenbar ist hier jemand gestorben.«
    »Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte der Kellner völlig ruhig. Ohne jenen Akzent, dessen er sich befleißigte, wenn er Gäste bediente.
    »Ich.«
    Der Kellner nickte, übergab den Jungen – der jetzt weinte, hatte er doch begriffen, dass in seiner kleinen heilen Welt etwas Schlimmes geschehen war – rasch einer der weiblichen Angestellten.
    »Und was hatten Sie

Weitere Kostenlose Bücher