Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
den Tischen, flitzten Kellner hin und her. Das Ermittlungsteam war abgezogen, die Leiche des Dunklen Magiers weggeschafft, ein Mann, offenbar ein Verwandter, hatte die Witwe und die beiden Kinder abgeholt. Niemand scherte sich noch um den Vorfall. Im Gegenteil – der Appetit der Gäste hatte zugenommen, genau wie ihr Lebenshunger. Und auch auf uns achtete niemand: Der kurzerhand vom Chef gewirkte Zauber zwang alle, den Blick von uns zu wenden.
    Und wenn das alles schon viel früher geschehen war?
    Wenn ich, Anton Gorodezki, Systemadministrator der Handelsfirma Niks, nebenberuflich Magier der Nachtwache, bloß auf einer Kristallplatte lag, die dicht mit alten Runen übersät war? Und mein Gedächtnis abgespult wurde, inspiziert und präpariert wurde? Ganz egal, von wem? Von Dunklen Magiern oder einem Tribunal aus beiden Wachen?
    Nein!
    Das konnte nicht sein. Ich spürte nicht das, wovon der Chef sprach. Durchlebte kein Dejà-vu. Nie zuvor hatte ich in einem weiblichen Körper gesteckt, nie zuvor Leichen in öffentlichen Toiletten gefunden.
    »Doch ich ermüde euch«, sagte der Chef. Aus der Tasche zog er ein langes Zigarillo. »Ist die Situation so weit klar? Was machen wir jetzt?«
    »Ich bin bereit, meine Pflicht zu erfüllen«, meinte ich.
    »Immer mit der Ruhe, Anton. Du musst nicht den Helden spielen.«
    »Das tu ich nicht. Ich bin noch nicht mal bereit, die Geheimnisse der Wache zu verteidigen. Ich würde ein solches Verhör einfach nicht durchstehen. Dann schon lieber sterben.«
    »Wir sterben aber nicht wie Menschen.«
    »Ja, für uns ist das schwieriger. Aber ich bin bereit dazu.«
    Der Chef seufzte. »Entschuldigt, Mädels. Anton, lass uns jetzt nicht über die Folgen, sondern über die Voraussetzungen für diese Ereignisse nachdenken. Manchmal hilft es, in die Vergangenheit zurückzublicken.«
    »Gut«, erklärte ich mich ohne große Hoffnung bereit.
    »Der Wilde treibt bereits seit einiger Zeit in Moskau sein Unwesen. Den jüngsten Daten der analytischen Abteilung zufolge haben diese seltsamen Morde vor dreieinhalb Jahren begonnen. Bei einem Teil der Opfer handelt es sich eindeutig um Dunkle. Bei einem anderen Teil vermutlich um potenzielle. Alle Ermordeten hatten höchstens den vierten Grad erlangt. Niemand arbeitete in der Tagwache. Äußerst komisch ist, dass sie – soweit man das in diesem Zusammenhang überhaupt sagen kann – alle recht zurückhaltende Dunkle waren. Sie töteten und manipulierten Menschen, doch in einem weitaus geringeren Maße, als es ihnen möglich gewesen wäre.«
    »Sie wurden geopfert«, sagte Swetlana. »Oder?«
    »Vermutlich. Die Tagwache hat diesen Psychopathen nicht angerührt und ihm sogar die eigenen Leute zugeschoben, solche, um die es nicht schade ist. Wozu? Das ist die entscheidende Frage: Wozu?«
    »Um uns der Fahrlässigkeit anzuklagen«, mutmaßte ich.
    »Der Zweck würde die Mittel nicht rechtfertigen.«
    »Um jemandem von uns etwas anzuhängen.«
    »Von allen Mitarbeitern der Wache hast nur du kein Alibi für die jeweilige Tatzeit, Anton. Wozu sollte die Tagwache Jagd auf dich machen?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Die Rache Sebulons?« Zweifelnd schüttelte der Chef den Kopf. »Nein. Du bist erst vor kurzem mit ihm zusammengestoßen. Dieser Schlag ist aber seit dreieinhalb Jahren geplant. Die Frage bleibt: Wozu?«
    »Vielleicht ist Anton potenziell ein sehr mächtiger Magier?«, fragte Swetlana leise. »Und die Dunklen haben das erkannt. Da sie ihn nicht mehr auf ihre Seite herüberziehen konnten, haben sie beschlossen, ihn zu vernichten.«
    »Anton ist stärker, als er glaubt«, antwortete der Chef in scharfem Ton. »Aber über den zweiten Grad wird er nie hinauskommen.«
    »Und wenn unsere Feinde die verschiedenen Realitätsvarianten weiter absehen können als wir?« Ich sah dem Chef in die Augen.
    »Ja, und?«
    »Ich kann ein schwacher Magier sein, ein mittlerer oder ein starker. Aber wenn ich bloß etwas zu tun bräuchte, um das Gleichgewicht der Kräfte zu stören? Irgendwas Einfaches, das nicht mit Magie verbunden ist? Boris Ignatjewitsch, die Dunklen haben doch versucht, mich von Swetlana fern zu halten, haben also einen Realitätsstrang gesehen, der mir die Möglichkeit bot, ihr zu helfen! Und wenn sie noch etwas sehen? In der Zukunft? Wenn sie weit vorausschauen können und sich seit langem darauf vorbereiten, mich zu neutralisieren? Was selbst den Kampf um Sweta nichtig erscheinen ließe?«
    Am Anfang hörte der Chef noch aufmerksam zu. Dann

Weitere Kostenlose Bücher