1 - Wächter der Nacht
einen Höheren Magier nicht täuschen würde. Möglicherweise hatte er damals in Ilja nicht den Chef erkannt, aber zweimal hintereinander würde der alte Fuchs nicht auf den gleichen Trick hereinfallen.
»Aber nicht zu ruhig, Sebulon«, sagte der Chef bloß. »Treib dein Vieh hier weg, sonst mach ich das für dich.«
Der Dunkle Magier sah aus, als sei die Zeit stehen geblieben, als sei der eisige Winter nicht dem warmen, wenn auch verspäteten Frühling gewichen. Anzug, Krawatte, graues Hemd, altmodische schmale Schuhe. Eingefallene Wangen, ein trüber Blick, kurz geschnittenes Haar.
»Ich wusste, dass wir uns begegnen würden«, sagte Sebulon.
Er sah mich an. Nur mich.
»So was Dummes.« Sebulon schüttelte den Kopf. »Wozu hast du das nötig, hm?«
Er trat einen Schritt nach vorn, während Alissa ihm aus dem Weg huschte.
»Eine gute Arbeit, Wohlstand, befriedigter Ehrgeiz, alle Freuden der Welt stehen dir zu Gebot, du brauchst dir nur früh genug zu überlegen, was diesmal das Gute ist. Und trotzdem kannst du nicht genug kriegen. Ich verstehe dich nicht, Anton.«
»Und ich verstehe dich nicht, Sebulon.« Der Chef stellte sich ihm in den Weg.
Widerwillig blickte der Dunkle Magier ihn an. »Du wirst alt. Im Körper deiner Geliebten«, Sebulon kicherte, »Anton Gorodezki. Der Mann, den wir im Verdacht haben, für diese Serienmorde verantwortlich zu sein. Versteckt er sich schon lange da drin, Boris? Hast du den Tausch womöglich gar nicht bemerkt?«
Erneut kicherte er.
Ich ließ den Blick über die Dunklen schweifen. Sie hatten die Situation noch nicht erfasst. Brauchten noch eine Sekunde, eine halbe.
Dann sah ich, wie Swetlana die Arme hob und auf ihren Handtellern das magische gelbe Feuer pulsierte.
Die Prüfung für die fünfte Kraftstufe hatte sie abgelegt, doch in diesem Kampf würden wir verlieren. Wir waren zu dritt. Sie zu sechst. Wenn Swetlana zuschlug, um nicht sich zu retten, sondern mich, der ich schon bis zum Hals in der Scheiße steckte, würde die Schlacht beginnen.
Ich sprang nach vorn.
Nur gut, dass Olga einen durchtrainierten kräftigen Körper hatte. Nur gut, dass wir alle, Lichte wie Dunkle, nicht mehr daran gewöhnt sind, auf die Kraft unserer Arme und Beine zu setzen, auf eine einfache schlichte Prügelei. Wie vernünftig, dass Olga, ihrer magischen Fähigkeiten weitgehend beraubt, diese Kunst nicht verschmäht.
Sebulon krümmte sich und stieß ein Krächzen aus, als meine – oder Olgas – Faust in seinem Bauch landete. Mit einem Fußtritt schlug ich ihm das Knie weg und stürzte aus dem Restaurant hinaus.
»Halt!«, heulte Alissa auf. Voller Begeisterung, Hass und Liebe zugleich.
Fass ihn, fass!
Als ich die Pokrowka Richtung Semljanoi Wal hinunterrannte, klatschte mir die Handtasche in den Rücken. Wenigstens trug ich keine hochhackigen Schuhe. Mich losreißen, entkommen – der Kurs zum Überleben in der Stadt hatte mir damals gut gefallen, nur war er zu kurz gewesen, viel zu kurz. Aber wer hätte gedacht, dass ein Mitarbeiter der Wache fliehen und untertauchen musste, statt Flüchtige und Untergetauchte einzufangen.
Hinter mir erdröhnte pfeifendes Geheul.
Abzuhauen war reiner Reflex gewesen, noch durchschaute ich die Situation nämlich nicht. Ein glutroter Feuerstrahl schlängelte sich die Straße entlang, versuchte zu stoppen und zurückzurollen, doch die Masseträgheit erwies sich als zu groß: Die Ladung schlug in einer Hauswand ein und glühte den Stein im Handumdrehen durch.
Die kleckerten nicht!
Ich stolperte, fiel hin und schaute mich um. Sebulon legte schon wieder seinen Kampfstab an, hantierte aber so langsam, als sei er gefesselt, werde gebremst.
Der war ja aufs Töten aus!
Nicht eine Hand voll Asche würde von mir übrig bleiben, wenn er mich mit der Geißel des Schaab erwischte.
Der Chef hatte sich also doch geirrt. Die Tagwache war nicht auf das aus, was sich in meinem Kopf befand. Sie wollte mich vernichten.
Die Dunklen rannten mir hinterher. Sebulon richtete die Waffe auf mich, der Chef hielt Swetlana umklammert, die sich loszureißen versuchte. Ich sprang auf und raste weiter, obwohl mir bereits schwante, dass mir die Flucht nicht gelingen würde. Zum Glück war wenigstens die Straße leer, eine instinktive, unbewusste Angst hatte die Passanten davongetrieben, kaum dass diese Auseinandersetzung angefangen hatte. Niemand würde zu Schaden kommen.
Bremsen quietschten. Ich drehte mich um und sah, wie die Wächter in alle Richtungen auseinander wichen
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