1 - Wächter der Nacht
begriff ich, dass ich den Ort aufsuchen musste, an dem der Tod den unglückseligen Dunklen Magier ereilt hatte. Aber ich traute mich noch nicht einmal, das auch nur anzudeuten. Wir eilten derart überstürzt zum Ausgang, dass uns die Wachleute garantiert aufgehalten hätten, wenn sie in der Lage gewesen wären, uns zu sehen.
»Zu spät«, sagte der Chef leise kurz vor der Tür. »Wir haben uns verquatscht.«
Drei Personen betraten das Restaurant, sickerten förmlich herein. Zwei kräftige Kerle und eine junge Frau.
Die Frau kannte ich. Alissa Donnikowa. Die kleine Hexe von der Tagwache. Sie riss die Augen auf, als sie den Chef erblickte.
Hinter ihr glitten zwei diffuse, unsichtbare Silhouetten durchs Zwielicht.
»Wenn Sie bitte noch bleiben wollen«, sagte Alissa heiser, als habe sie mit einem Mal eine ganz ausgedörrte Kehle.
»Aus dem Weg!« Der Chef fuchtelte leicht mit der Hand, worauf die Dunklen auseinander wichen, sich an die Wände drängten. Alissa krängte, als wolle sie sich gegen eine elastische Wand stemmen, doch die Kräfte waren nicht gleich verteilt.
»Sebulon, ich rufe dich!«, wimmerte sie.
Oho. Die kleine Hexe erwies sich als Liebling des O-berhaupts der Tagwache, wenn sie das Recht hatte, ihn herbeizurufen!
Aus dem Zwielicht tauchten zwei weitere Dunkle auf. Äußerlich wirkten sie wie Kampfmagier dritten oder vierten Grades. Sicher, mit dem Chef konnten sie sich nicht messen, außerdem konnte ich ihm noch helfen – aber wertvolle Zeit würden sie uns stehlen.
Der Chef sah das genauso. »Was wollt ihr?«, fragte er in herrischem Ton. »Das ist die Zeit der Nachtwache.«
»Ein Verbrechen wurde begangen.« Alissas Augen glühten. »Hier, erst vor kurzem. Einer von uns ist ermordet worden, ermordet worden von einem …« Ihr Blick bohrte sich abwechselnd in den Chef und mich.
»Von wem?«, fragte der Chef hoffnungsvoll. Die Hexe ließ sich nicht provozieren. Bei ihrem Status und zu dieser Zeit, die nicht die ihre war, hätte sie es nur wagen sollen, Boris Ignatjewitsch eine solche Anklage an den Kopf zu werfen – er hätte sie an der Wand zerquetscht.
Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ob dieser Schritt gerechtfertigt war.
»Von einem Lichten!«
»Die Nachtwache kennt den Verbrecher nicht.«
»Wir bitten offiziell um Unterstützung.«
So. Nun gab es kein Entkommen mehr. Der anderen Wache die Unterstützung zu verweigern käme einer Kriegserklärung gleich.
»Sebulon, ich rufe dich!«, schrie die Hexe noch einmal. In mir keimte die zarte Hoffnung auf, das Haupt der Dunklen höre sie nicht oder sei anderweitig beschäftigt.
»Wir erklären unsere Kooperationsbereitschaft«, sagte der Chef. Mit einer Stimme wie Eis.
Ich ließ den Blick durch den Raum wandern, über die breiten Schultern der Magier hinweg – die Dunklen hatten uns inzwischen umzingelt und wollten uns offensichtlich an der Tür festhalten. Ja, im Restaurant geschahen unerhörte Dinge.
Das Volk fraß weiter.
Ein Schmatzen, so laut, als ob an den Tischen Schweine säßen. Stumpfe, gläserne Blicke, die Finger ums Besteck gepresst, schaufelte die Masse das Essen jedoch mit den Händen in sich hinein, würgte, schnaubte, spuckte. Ein distinguierter älterer Herr, der friedlich im Kreise von drei Bodyguards und einer jungen Schönheit speiste, schlürfte den Wein direkt aus der Flasche. Ein sympathischer junger Kerl, ohne Zweifel ein Yuppie, und seine liebreizende Freundin keilten sich um einen Teller und beschmadderten sich mit fetter orangefarbener Sauce. Die Kellner rasten von Tisch zu Tisch und knallten den Leuten Essensteller vor, Tassen, Flaschen, Warmhalteplatten, Schüsseln …
Die Dunklen haben ihre eigenen Methoden, um Außenstehende abzulenken.
»Wer von Ihnen war zur Zeit des Verbrechens im Restaurant?«, fragte die Hexe feierlich. Der Chef schwieg.
»Hm.«
»Wer?«
»Meine beiden Begleiterinnen.«
»Olga und Swetlana.« Die Hexe vernichtete uns förmlich mit ihrem Blick. »Und der Andere, der Mitarbeiter der Nachtwache, dessen menschlicher Name Anton Gorodezki ist, war nicht anwesend?«
»Außer uns waren keine anderen Mitarbeiter der Wache hier«, sagte Swetlana schnell. Gut, aber vielleicht ein bisschen zu schnell. Alissa runzelte die Stirn, merkte, dass sie ihre Frage etwas zu vage formuliert hatte.
»Eine ruhige Nacht, nicht wahr?«, klang es von der Tür zu uns herüber.
Sebulon war erschienen.
Ich sah ihn an und begriff mit hoffnungsloser Gewissheit, dass meine Maskierung
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