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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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abtauchen.«
    »Das schaffst du schon noch. Wie kann ich dir helfen?«
    »Weißt du Bescheid?«
    »Ja. Ich stehe parallel zu dir noch mit Boris in Kontakt.«
    »Ich muss wieder in meinen Körper.«
    »Wo wollen wir uns treffen?«
    Ich überlegte kurz. »Als ich versucht habe, den schwarzen Wirbel von Swetlana zu bannen, bin ich an einer Station ausgestiegen.«
    »Alles klar. Das hat Boris mir erzählt. Folgendes Szenario: drei Stationen weiter nach oben und links, auf der Ringlinie.«
    Gut, sie hatte die Strecken im Kopf.
    »Kapiert.«
    »In der Mitte des Saals. Ich bin in zwanzig Minuten da.«
    »In Ordnung.«
    »Soll ich dir was mitbringen?«
    »Ja. Mich. Alles andere überlass ich dir.«
    Ich beendete das Gespräch, schaute mich noch einmal um und ging rasch weiter zur Metrostation.

Vier
    Ich stand in der Mitte der Station Nowoslobodskaja. Das übliche Bild zu dieser noch nicht allzu späten Stunde. Eine junge Frau wartet, vielleicht auf ihren Freund, vielleicht auf eine Freundin.
    In diesem Fall sowohl als auch.
    Unterirdisch war ich schwerer aufzuspüren als auf offener Straße. Selbst die besten Magier der Dunklen können meine Aura nicht orten, nicht durch die Bodenschichten, nicht durch die alten Gräber hindurch, auf denen Moskau erbaut ist, inmitten der Menge, im dichten Strom der Menschen. Natürlich konnten sie ohne weiteres jede Station durchkämen, sie brauchten bloß auf jedem Bahnhof einen Anderen mit meinem Bild zu schicken, und fertig.
    Doch ich hoffte, dass mir bis zu diesem Schritt der Tagwache noch eine halbe oder ganze Stunde blieb.
    Wie einfach das alles doch war. Wie elegant sich das Puzzle fügte. Ich schüttelte den Kopf, lächelte und fing den fragenden Blick eines jungen Punkers auf. O nein, Freundchen, da bist du auf dem Holzweg. Dieser erotische Körper schmunzelt lediglich über die eigenen Gedanken.
    Im Grunde hätte ich sofort darauf kommen müssen, in dem Moment, als alle Fäden dieser Intrige zu mir führten. Wie immer hatte der Chef Recht gehabt. Ich bin von zu geringem Wert, als dass man meinetwegen einen über mehrere Jahre angelegten, gefährlichen und verheerenden Plan schmieden würde. Das Ganze lag anders, völlig anders.
    Sie versuchen, uns bei unseren Schwächen zu packen. Bei Güte und Liebe.
    Und das gelingt ihnen. Oder zumindest fast.
    Mit einem Mal wollte ich eine rauchen, unbedingt, in meinem Mund hatte sich bereits Speichel gesammelt. Was komisch war, denn normalerweise verlangte es mich nicht oft nach Nikotin. Wahrscheinlich eine Reaktion von Olgas Organismus. Ich stellte mir vor, wie sie, eine elegante Dame, vor hundert Jahren mit einer schmalen Papirossa in einer Zigarettenspitze in irgendeinem literarischen Salon verkehrte, in der Gesellschaft Bloks und Gumiljows. Mit einem Lächeln auf den Lippen über Freimaurer diskutierte, die Volksherrschaft und das Streben hin zu geistiger Vollkommenheit. Was soll’s!
    »Hätten Sie nicht zufällig eine Zigarette?«, fragte ich einen jungen Mann, der über den Bahnhof kam und gepflegt genug gekleidet schien, um nicht Solotaja Jawa zu rauchen.
    Mit erstauntem Blick hielt er mir ein Päckchen »Parlament« hin.
    Ich nahm mir eine Zigarette, lächelte ihm zum Dank zu und hüllte mich in einen leichten Zauber. Die Blicke der Menschen glitten von mir ab.
    Gut so.
    Indem ich mich konzentrierte, ließ ich die Temperatur der Zigarettenspitze auf zweihundert Grad hochschnellen und machte den ersten Zug. Jetzt hieß es warten. Ein paar kleine eherne Regeln brechen.
    Die Menschen strömten vorbei, wobei sie einen Meter Abstand zu mir hielten. Erstaunt schnüffelten sie in der Luft, da sie nicht begriffen, woher der Tabakgeruch kam. Ich rauchte, ließ die Asche auf den Boden fallen, musterte einen Milizionär, der fünf Schritt von mir entfernt stand, und berechnete meine Chancen.
    Die gar nicht schlecht standen. Im Gegenteil. Und das irritierte mich.
    Wenn diese Kombination schon seit drei Jahren vorbereitet wurde, mussten sie die Variante, dass ich das Spiel durchschaute, berücksichtigt haben. Und einen Antwortzug in petto haben. Aber welchen?
    Den verwunderten Blick bemerkte ich nicht sofort. Als mir jedoch klar wurde, wer mich da beobachtete, erschauerte ich.
    Jegor.
    Der kleine Junge, der schwache Andere, der vor drei Monaten in eine schwere Auseinandersetzung der Wachen geraten war. Von beiden Seiten als Spielball benutzt. Eine offene Karte, die bisher keiner der Spieler bekommen hatte. Wobei man sich um solche Karten auch

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