1 - Wächter der Nacht
und einem mit rasendem Tempo auf uns zukommenden Auto Platz machten. Der Fahrer, dem offenbar klar geworden war, dass er mitten in einen Krieg zwischen zwei Banden geraten war, hielt kurz inne, um dann Gas zu geben.
Sollte ich ihn anhalten? Nein, unmöglich.
Ich sprang auf den Gehweg und versteckte mich vor Sebulon, indem ich mich hinter einen alten geparkten Wolga kauerte, und ließ den zufälligen Zeugen weiterfahren. Der silberfarbene Toyota raste vorbei und hielt dann mit einem markerschütternden Geheul der durchbrennenden Bremsklötze an.
Die Tür auf der Fahrerseite ging auf, und eine Hand winkte mir zu.
Das kann doch nicht wahr sein!
Nur in billigen Actionfilmen liest den fliehenden Helden ein gerade vorbeikommendes Auto auf.
Noch während mir das durch den Kopf ging, riss ich den hinteren Wagenschlag auf und stürzte ins Auto.
»Rasch, Beeilung!«, schrie die Frau, neben der ich gelandet war. Doch man musste den Fahrer nicht zur Eile drängen, denn schon schossen wir wieder los. Hinter uns loderte etwas auf, und eine weitere Ladung der Geißel wurde auf uns abgefeuert. Der Fahrer riss das Steuer herum, um dem Feuerstrahl auszuweichen. Die Frau winselte auf.
Wie nahmen sie das alles wahr? Als Maschinengewehrfeuer? Raketeneinschläge? Beschuss mit einem Flammenwerfer?
»Warum, warum musstest du zurückfahren?!« Die Frau versuchte sich vorzubeugen, ohne Zweifel, um auf den Rücken des Fahrers einzuschlagen. Ich hielt mich bereit, um ihre Hand abzufangen, doch ein Ruck des Wagens schleuderte die Frau vorher zurück.
»Nicht doch«, sagte ich sanft und handelte mir damit einen empörten Blick ein.
Logisch. Welche Frau würde sich schon darüber freuen, dass im Auto eine sympathische, aber völlig derangierte Unbekannte auftaucht, hinter der eine Meute bewaffneter Banditen her ist und deretwegen der eigene Mann sich plötzlich unter Beschuss begibt.
Dabei drohte bereits keine unmittelbare Gefahr mehr. Wir hatten den Semljanoi Wal erreicht und uns in den dichten Strom von Autos eingereiht. Freunde wie Feinde hatten wir abgehängt.
»Danke«, sagte ich zu dem kurzhaarigen Hinterkopf des Fahrers.
»Wurden Sie getroffen?« Er drehte sich noch nicht mal um.
»Nein. Vielen Dank. Warum haben Sie angehalten?«
»Weil er ein Idiot ist!«, wimmerte die Frau. Sie war ganz ans andere Ende gerutscht, ging auf Abstand zu mir, als sei ich verseucht.
»Weil ich kein Arschloch bin«, erwiderte der Mann gelassen. »Warum sind die hinter Ihnen her? Na gut, das geht mich nichts an.«
»Die wollten mich vergewaltigen«, grummelte ich prompt los. Was für eine schöne Version: Mitten in einem Restaurant, an einem Tisch, als seien wir nicht in Moskau, mit all seinen Freuden für Banditen, sondern in einem Saloon im wildesten Wilden Westen.
»Wo kann ich Sie absetzen?«
»Hier.« Ich sah das leuchtende M über dem Eingang zur Metro. »Das schaff ich dann schon.«
»Wir können Sie auch nach Hause fahren.«
»Das ist nicht nötig. Vielen Dank, Sie haben so schon mehr als genug für mich getan.«
»Wie Sie wollen.«
Weder fing er einen Streit an, noch versuchte er, mich zu überreden. Der Wagen hielt an, ich stieg aus.
»Vielen, vielen Dank«, sagte ich mit einem Blick auf die Frau.
Sie schnaubte, schnellte vor und knallte die Tür zu.
Auch gut.
Trotzdem zeigen solche Fälle, dass unsere Arbeit irgendeinen Sinn hat.
Unwillkürlich strich ich mir das Haar zurecht, klopfte den Staub von der Jeans. Die Passanten blickten mich argwöhnisch an, schreckten jedoch nicht zurück: So fürchterlich konnte ich also nicht aussehen.
Wie viel Zeit blieb mir, bis meine Verfolger die Spur aufnahmen? Fünf Minuten? Zehn? Oder würde es dem Chef gelingen, sie aufzuhalten?
Was zu wünschen wäre. Denn allmählich schwante mir, was hier vorging.
Und ich hatte eine Chance, eine winzig kleine nur, aber eine Chance.
Während ich zur Metro ging, kramte ich Olgas Mobiltelefon aus der Handtasche. Ich wollte schon ihre Nummer wählen, blaffte mich dann innerlich an und wählte meine.
Fünf Klingeltöne, sechs, sieben.
Ich gab’s auf und versuchte es unter meiner Handynummer. Diesmal ging Olga sofort ran.
»Hallo?«, meldete sich in scharfem Ton eine unbekannte, leicht heisere Stimme. Meine Stimme.
»Ich bin’s, Anton«, schrie ich. Ein junger Mann, der gerade an mir vorbeiging, blickte mich erstaunt an.
»Blödmann!«
Was anderes hatte ich von Olga nicht erwartet.
»Wo bist du, Anton?«
»Ich will gerade
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