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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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überzogenen bunten Mosaiken, den dreckigen Fußboden, die langsamen Bewegungen der Menschen, die Regenbögen der Auren und zwei Körper, die miteinander rangen, als wollten sie sich gegenseitig ans Kreuz schlagen.
    Dann drückte mich etwas, presste mich, zwängte mich in die Körperhülle.
    »Ah, ah, ah«, zischte ich, während ich zu Boden fiel, mich aber in letzter Sekunde mit den Händen abfangen konnte. Meine Muskeln krampften sich zusammen, in den Ohren klirrte es. Der Rücktausch gestaltete sich weitaus unbequemer, vielleicht weil ihn nicht der Chef durchgeführt hatte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Olga träge. »Verdammt, du bist doch ein altes Schwein.«
    »Was?« Ich sah die junge Frau an.
    Stirnrunzelnd stand Olga auf. »Pardon, aber hättest du nicht mal zur Toilette gehen können?«
    »Nur mit Erlaubnis Sebulons.«
    »Schon gut, schon vergessen. Wir haben noch eine Viertelstunde, Anton. Erzähl.«
    »Was genau?«
    »Das, was dir klar geworden ist. Mach schon. Du wolltest nicht einfach nur in deinen Körper zurück, du hast irgendeinen Plan.«
    Ich nickte, streckte mich und rieb die dreckigen Hände gegeneinander. Klatschte mir auf die Schenkel, klopfte die Jeans ab. Unter meiner Achsel drückte das zu fest gezogene Halfter, das ich würde lockern müssen. In der Metro gab es jetzt nur noch wenige Menschen, die großen Ströme waren verebbt. Dafür hatten die Leute nun, da sie sich nicht mehr durch die Masse schlängeln mussten, Zeit zum Nachdenken. Die Regenbögen ihrer Auren flammten auf, der Nachhall fremder Emotionen wehte uns an.
    Wie sehr musste man Olgas Fähigkeiten gestutzt haben! In ihrem Körper hatte ich mich anstrengen müssen, um die geheime Welt der menschlichen Gefühle zu sehen. Dabei ist das so leicht, leichter geht’s gar nicht. Noch nicht mal ein Grund, stolz zu sein.
    »Die Tagwache braucht mich nicht, Olga. Absolut nicht. Ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Magier mit mittleren Fähigkeiten.«
    Sie nickte.
    »Aber sie machen Jagd auf mich. Daran gibt es keinen Zweifel. Folglich bin ich nicht die Beute, sondern der Köder. So wie Jegor den Köder spielte, als Sweta die Beute war.«
    »Begreifst du das erst jetzt?« Olga schüttelte den Kopf. »Natürlich bist du der Köder.«
    »Für Swetlana?«
    Die Zauberin nickte.
    »Das ist mir erst heute klar geworden«, gab ich zu. »Vor einer Stunde. Sweta wollte sich der Tagwache entgegenstellen und hat die fünfte Kraftstufe erklommen. Auf Anhieb. Wäre es zu einem Kampf gekommen, hätte man sie umgebracht. Wir sind doch auch ganz einfach zu lenken, Olga. Die Menschen kann man in unterschiedliche Richtungen treiben, zum Guten oder zum Bösen, die Dunklen bei ihrer Niedertracht packen, ihrer Selbstliebe und ihrer Gier nach Macht und Ruhm. Und uns bei unserer Liebe. Die lässt uns schutzlos wie Kinder dastehen.«
    »Stimmt.«
    »Weiß der Chef das alles?«, fragte ich. »Olga?«
    »Ja.«
    Sie presste das Wort heraus, als schnüre ihr jemand die Kehle zusammen. Nicht zu fassen! Lichten Magiern, die mehr als tausend Jahre gelebt haben, ist nichts peinlich. Sie haben die Welt so oft gerettet, dass sie alle ethischen Ausreden in- und auswendig kennen. Scham kennt eine Große Zauberin nicht – auch keine ehemalige. Zu oft wurde sie selbst verraten.
    Ich lachte auf. »Habt ihr das sofort durchschaut, Olga? Gleich, als der Protest von den Dunklen kam? Dass man mich jagt – mit dem Ziel, Swetlana dazu zu bringen, sich in den Kampf zu stürzen?«
    »Ja.«
    »Ja, ja, ja! Und dann habt ihr weder sie noch mich gewarnt?«
    »Swetlana muss erwachsen werden. Muss ein paar Stufen überspringen.« In Olgas Augen loderte ein Flämmchen auf. »Anton, du bist mein Freund. Ich rede ganz offen mit dir. Du musst verstehen, dass wir nicht die Zeit haben, eine Große angemessen aufzuziehen. Wir brauchen sie, dringender, als du dir das vorstellen kannst. Sie hat genug Kraft. Sie wird sich stählen, wird lernen, ihre Kraft zu sammeln und anzuwenden, und vor allem wird sie lernen, ihre Kraft zu mäßigen.«
    »Und wenn ich sterbe … würde das nur ihren Willen stärken, ihren Hass auf die Dunklen schüren?«
    »Ja. Aber du wirst nicht sterben, da bin ich sicher. Die Wache sucht den Wilden, es sind bereits alle mobilisiert. Wir präsentieren ihn den Dunklen, die Klage gegen dich wird zurückgezogen.«
    »Dafür stirbt ein Lichter Magier, der nicht rechtzeitig initiiert worden ist. Ein unglücklicher, einsamer, zu Tode gehetzter Lichter, der davon überzeugt ist,

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