1 - Wächter der Nacht
Ruß abzuwaschen ist für mich viel wichtiger … als einen sympathischen Jungen in Verlegenheit zu bringen.«
Kommentarlos schluckte ich den Jungen und ging aus dem Bad. Kopfschüttelnd griff ich nach dem Kognak und entkorkte die Flasche.
Eines zumindest war klar: Sie war keine Tierfrau. Tiermenschen hätte keine Kleidung mehr angehabt. Olga war eine Magierin. Eine Magierin, eine Frau von etwa zweihundert Jahren, vor achtzig Jahren mit dem Entzug ihres Körpers bestraft, immer noch voller Hoffnung auf Rehabilitation, Spezialistin für heftige Wechselwirkungen, die das letzte Mal vor zirka fünfundfünfzig Jahren einen Auftrag erhalten hatte …
All das sollte für eine Recherche in unserer Datenbank ausreichen. Auf die kompletten Dateien konnte ich nicht zugreifen, dafür stand ich zu weit unten. Aber zum Glück hatten die oberen Führungskräfte keine Ahnung, an welche Informationen man über eine indirekte Suche gelangen konnte.
Natürlich nur, falls ich Olgas Identität tatsächlich herauskriegen wollte.
Nachdem ich in beide Gläser Kognak eingeschenkt hatte, wartete ich. Fünf Minuten später kam Olga aus dem Bad. Im Gehen rubbelte sie sich die Haare mit dem Handtuch ab. Sie trug meine Jeans und mein Sweatshirt.
Zwar war sie nicht gerade wie umgewandelt – aber dennoch wirkte sie jetzt eine Größenordnung sympathischer.
»Danke, Anton. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gut mir das getan hat.«
»Wahrscheinlich schon.«
»Glaub ich nicht. Der Geruch, Anton – dieser Brandgeruch. In dem halben Jahrhundert habe ich mich schon fast daran gewöhnt.« Unbeholfen setzte sich Olga auf den Hocker. Sie seufzte. »Auch wenn das schlimm ist, aber ich bin froh über die aktuelle Krise. Selbst wenn ich nicht begnadigt werde, habe ich wenigstens die Möglichkeit, mich mal zu waschen …«
»Du kannst diese Gestalt behalten, Olga. Ich geh los und besorg dir vernünftige Sachen zum Anziehen.«
»Nicht nötig. Ich habe nur eine halbe Stunde pro Tag.«
Olga knüllte das Handtuch zusammen und warf es aufs Fensterbrett.
»Wer weiß, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit habe, mich zu waschen«, meinte sie seufzend. »Oder Kognak zu trinken … Auf dein Wohl, Anton.«
»Zum Wohl.«
Der Kognak war gut. Genussvoll nippte ich daran, ohne mich um das enorme Chaos in meinem Kopf zu scheren. Olga trank ihren auf Ex, verzog das Gesicht, sagte aber freundlich: »Nicht übel.«
»Warum erlaubt dir der Chef nicht, ein normales Aussehen anzunehmen?«
»Das liegt nicht in seiner Macht.«
Alles klar. Das heißt, sie war nicht vom Regionalbüro verurteilt worden, sondern von weiter oben.
»Ich wünsche dir Glück, Olga. Was auch immer du getan hast – ich bin sicher, dass deine Schuld längst abgegolten ist.«
Die Frau zuckte mit den Schultern. »Würde ich auch gern glauben. Mir ist klar, dass man leicht Mitleid mit mir haben kann, aber im Grunde ist die Strafe gerecht … Doch jetzt mal ganz im Ernst.«
»Gut.«
Olga beugte sich über den Tisch zu mir herüber. »Ich sage dir ehrlich: Mir reicht’s«, flüsterte sie verschwörerisch. »Ich habe Nerven wie Stahl, aber so kann ich einfach nicht leben. Meine einzige Chance besteht darin, eine derart wichtige Mission zu erfüllen, dass der Leitung gar nichts anderes übrig bleibt, als mich zu begnadigen.«
»Und wo sollen wir eine derartige Mission hernehmen?«
»Die haben wir doch schon. Und sie setzt sich aus drei Teilen zusammen. Da ist der Junge, den wir beschützen und auf die Seite des Lichts ziehen müssen. Und die Vampirin, die wir ausschalten werden.«
Olga sprach mit fester Stimme – und plötzlich glaubte ich ihr. Beschützen und ausschalten. Kein Problem.
»Das alles sind jedoch Kleinigkeiten, Anton. Du wirst durch eine solche Aktion einen höheren Grad erlangen, aber mir bringt das nicht viel. Die Hauptsache ist die Frau mit dem schwarzen Strudel.«
»Um die kümmern sich andere, Olga. Ich … Wir wurden von dieser Aufgabe abgezogen.«
»Macht nichts. Sie werden es nicht schaffen.«
»Ach nein?«, fragte ich in ironischem Ton.
»Nein. Boris Ignatjewitsch ist ein starker Magier. Allerdings auf anderen Gebieten.« Olga zwinkerte spöttisch. »Ich befasse mich aber bereits mein ganzes Leben mit allen Aspekten, die ein Durchbruch des Infernos mit sich bringt.«
»Also deshalb redest du von Krieg!«, begriff ich.
»Natürlich. Solche Auswüchse von Hass gibt es in einer Welt voller Frieden nicht. Diese Kröte Adolf … hatte viele Anhänger, doch
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