1 - Wächter der Nacht
auch kein Durchschnitt, kein Niemandsgesicht. Ein schöner Mann, den man in der Menge ausmachte. Und auch hier: athletisch, aber kein Muskelprotz, keine hervortretenden Adern, kein Fanatismus, der ihn jeden Tag ins Sportstudio trieb.
Von Beruf Wirtschaftsprüfer in einer großen ausländischen Firma, mit einem Einkommen, das für alle Extravaganzen reichte, ohne dass er sich um Schutzgelderpresser Sorgen machen musste.
Als ob sein Schutzengel ein für alle Mal beschlossen hätte. – »Dir soll es ein bisschen besser als den anderen gehen.« Ein bisschen nur, doch besser.
Das Wichtigste aber war, dass sich Maxim damit völlig zufrieden gab. Karriere machen, einem Luxusschlitten hinterherjagen, nach Einladungen für die Empfänge der High Society fiebern oder unbedingt eine riesige Wohnung in Beschlag nehmen – wozu? Das Leben an sich war schön – ganz ohne diese Güter, die man irgendwann mal erlangt. In diesem Sinne bedeutete das Leben das genaue Gegenteil vom Geld, das an sich nichts war.
Natürlich dachte Maxim nie so direkt über diese Dinge nach. Eine der Besonderheiten von Menschen, denen es gelungen ist, ihren Platz im Leben zu finden, besteht darin, dass sie das für völlig normal halten. Alles kommt so, wie es kommen muss. Und wenn jemand nicht das bekommt, was er möchte, ist es einzig und allein seine Schuld. Dann ist er faul und dumm gewesen. Oder hatte überzogene Ansprüche.
Maxim gefiel der Ausdruck »überzogene Ansprüche« ungemein. Er rückte alles an den rechten Ort. Erklärte beispielsweise, warum seine kluge und schöne Schwester mit einem Trinker als Mann in Tambow dahinvegetierte. Musste sie sich unbedingt etwas Besseres und Aussichtsreicheres suchen? Na, das hatte sie ja gefunden. Oder sein alter Schulfreund, der bereits den zweiten Monat mit gebrochenen Knochen im Krankenhaus lag. Hatte der nicht sein Geschäft ausbauen wollen? Eben. Er konnte von Glück sagen, dass er mit dem Leben davongekommen war. Dass sich die Konkurrenten auf dem seit langem aufgeteilten Markt für Edelmetalle als Menschen mit guten Manieren herausgestellt hatten …
Und nur in einem Fall wandte Maxim den Ausdruck der »überzogenen Ansprüche« auf sich selbst an. Doch das war ein derart seltsamer und komplizierter Aspekt – über den er nicht einmal nachdenken wollte. Es war leichter, nicht darüber nachzudenken, leichter, sich mit diesem merkwürdigen Drang abzufinden, der ihn ab und zu im Frühling befiel, manchmal auch im Herbst und in seltenen Ausnahmen auch im Hochsommer, wenn eine unerträgliche Hitze herabschlug, die jede Vernunft, jede Wachsamkeit, jeden leichten Zweifel an der eigenen psychischen Gesundheit im Kopf wegätzte. Dabei hielt Maxim sich keineswegs für schizophren. Er hatte etliche Bücher gelesen und erfahrene Ärzte aufgesucht – denen gegenüber er natürlich nicht ins Detail gegangen war.
Nein, er war normal. Offensichtlich gab es in der Tat etwas, wovor der gesunde Menschenverstand passen musste, was sich mit den üblichen menschlichen Normen nicht fassen lässt. Überzogene Ansprüche – wie unschön. Doch waren sie das wirklich: überzogen?
Der Motor lief nicht, während Maxim im Auto saß, in seinem sauberen, gepflegten Toyota, nicht das teuerste und schickste Modell, aber weit besser als die meisten Wagen auf Moskaus Straßen. Im morgendlichen Halbdunkel konnte man ihn selbst aus einer Entfernung von nur wenigen Schritten nicht hinterm Steuer ausmachen. Die ganze Nacht hatte er so zugebracht, dem leisen Knacken des kalt gewordenen Motors lauschend, war halb erfroren, hatte sich aber dennoch nicht erlaubt, die Standheizung einzuschalten. Wie in solchen Fällen üblich, wollte er nicht schlafen. Rauchen auch nicht. Nichts wollte er, er genoss es einfach, so dazusitzen, bewegungslos, ein Schatten in einem am Straßenrand geparkten Auto, und zu warten. Das Einzige, was ihn ärgerte, war, dass seine Frau schon wieder dachte, er verbringe die Nacht bei einer Geliebten. Doch wie sollte er ihr beweisen, dass er keine Geliebte hatte, keine Dauerfreundin, und dass sämtliche Seitensprünge sich auf die üblichen Affären im Urlaub, Flirts auf der Arbeit und ein paar Nutten während einer Geschäftsreise beschränkten – Letztere noch nicht mal vom Familienbudget bezahlt, sondern von Kunden offeriert. Da konnte man ja nicht ablehnen, wollte man niemanden beleidigen. Oder für einen Schwulen gehalten werden, sodass man beim nächsten Mal Knaben vorgesetzt bekam …
Die grün
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