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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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sind nicht unerschöpflich. Ihr werdet für immer hier bleiben, im Zwielicht, in einer Tiefe, in die ihr nie hineinzusehen gewagt hättet …«
    Semjon seufzte auf und sagte: »Anton, er hat es immer noch nicht verstanden.«
    Ich drehte mich um und fragte: »Boris Ignatjewitsch, diese Maskerade ist doch nicht länger nötig, oder?«
    Der junge nassforsche Fahnder zuckte mit den Achseln.
    »Natürlich nicht, Antoschka. Aber ich habe so selten das Vergnügen, den Chef der Tagwache bei der Arbeit zu beobachten … Verzeih einem alten Mann. Ich hoffe, es war für Ilja in meinem Körper genauso interessant …«
    Boris Ignatjewitsch nahm seine alte Gestalt wieder an. In einem Rutsch, ganz ohne theatralische Zwischenstufen der Metamorphose und Lichteffekte. Wie immer trug er den Hausmantel und die Kappe, zudem aber noch Tatarenstiefel aus weichem Leder, über die er Galoschen gezogen hatte.
    Es war die reinste Wonne, Sebulons Gesicht zu sehen.
    Die dunklen Flügel verschwanden nicht, wuchsen jedoch nicht weiter und schlugen nur unsicher, als wolle der Magier wegfliegen, könne sich aber nicht entscheiden.
    »Brich die Operation ab, Sebulon«, sagte der Chef. »Wenn ihr euch unverzüglich von hier und aus Swetlanas Haus zurückzieht, werden wir darauf verzichten, offiziell Beschwerde einzureichen.«
    Der Dunkle Magier zögerte keine Sekunde.
    »Wir gehen.«
    Der Chef nickte, als habe er nichts anderes erwartet. Fast hätte man denken können … Doch er hatte den Stab gesenkt, die Barriere zwischen Sebulon und mir war verschwunden.
    »Ich werde nicht vergessen, welche Rolle du hier gespielt hast …«, flüsterte der Dunkle Magier hastig. »Niemals.«
    »Merk es dir nur«, pflichtete ich ihm bei. »Das kann nicht schaden.«
    Sebulon legte die Hände aneinander – die mächtigen Flügel schlugen im Takt, und er verschwand. Zuvor hatte der Magier jedoch noch die Hexe angesehen, die daraufhin genickt hatte.
    Oh, oh, das gefiel mir ganz und gar nicht. Nach dem Kampf angespuckt zu werden ist nicht tödlich, aber immer unangenehm.
    Mit leichten, tänzelnden Schritten, die so gar nicht zu dem blutüberströmten Gesicht und dem ausgekugelten, kraftlos herabhängenden linken Arm passten, kam Alissa auf mich zu.
    »Du musst auch gehen«, sagte der Chef.
    »Natürlich, mit dem allergrößten Vergnügen!«, erwiderte die Hexe. »Aber vorher habe ich noch ein kleines, ein ganz kleines Recht. Nicht wahr, Anton?«
    »Ja«, flüsterte ich. »Eine Einwirkung siebten Grades.«
    Gegen wen würde sich der Schlag richten? Gegen den Chef? Lächerlich! Gegen Tigerjunges, Bär, Semjon …? Quatsch! Jegor? Aber was sollte sie ihm mit der geringsten Form der Intervention eingeben können?
    »Öffne dich«, verlangte die Hexe. »Öffne dich, Anton. Das ist eine Intervention siebten Grades. Der Chef der Nachtwache ist mein Zeuge: Ich gehe nicht zu weit.«
    Semjon stöhnte auf und presste meine Schulter so stark, dass es wehtat.
    »Sie hat das Recht dazu«, sagte ich. »Boris Ignatjewitsch …«
    »Tu es«, entgegnete der Chef leise. »Ich schau zu.«
    Ich seufzte auf und öffnete mich der Hexe. Was konnte sie mir schon anhaben! Nichts! Eine Intervention siebten Grades – damit würde sie mich nicht auf die Seite des Dunkels ziehen! Das war doch einfach lächerlich!
    »Anton«, sagte die Hexe sanft. »Sag dem Chef das, was dir auf dem Herzen liegt. Sag ihm die Wahrheit. Antworte ehrlich und aufrichtig. So, wie du antworten musst.«
    »Eine minimale Einwirkung …«, wiederholte der Chef. Sollte in seiner Stimme Schmerz mitschwingen, dann war er so tief verborgen, dass ich ihn nicht hören konnte.
    »Ein Mehrzüger«, sagte ich, wobei ich Boris Ignatjewitsch ansah. »Auf beiden Seiten. Die Tagwache opfert ihre Bauern. Dito die Nachtwache. Um das große Ziel zu erreichen. Um eine Zauberin von großer, beispielloser Kraft auf die eigene Seite zu ziehen. Ein junger Vampir, der so gern lieben wollte, kann da ruhig sterben. Ein kleiner Junge mit den schwachen Fähigkeiten eines Anderen kann ruhig sterben, im Zwielicht umkommen. Die eigenen Mitarbeiter können ruhig leiden. Denn es gibt ein Ziel, das alle Mittel rechtfertigt. Zwei große Magier, die einander seit Jahrhunderten bekämpfen, zetteln wieder einmal einen kleinen Krieg an. Und dem Lichten Magier macht das mehr zu schaffen – er setzt alles auf eine Karte. Wenn er verliert, ist das nicht nur unangenehm – es ist ein Schritt ins Zwielicht, ins ewige Zwielicht. Trotzdem setzt er alles auf eine

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