1 - Wächter der Nacht
es. Wenn auch nicht auf Anhieb.
»Mach, dass du wegkommst! Mach, dass du von hier wegkommst!«
Ich wich zurück, berührte die Tür schon mit dem Rücken. Was mich zwang innezuhalten – so wie auch Swetlana innehielt. Sie wiegte den Kopf, fauchte: »Du solltest in diesem Körper bleiben! Der passt besser zu dir, denn du bist kein Mann, du Schlappschwanz!«
Ich schwieg. Schwieg, weil ich bereits sah, wie es weitergehen würde. Sah, wie vor uns die Wahrscheinlichkeitslinien schlingerten, wie ein spottlustiges Schicksal unsere Wege verflocht.
Und als Swetlana anfing zu weinen und damit auf einmal allen Kampfeseifer verlor, ihr Gesicht mit den Händen bedeckte, als ich sie in die Arme schloss und sie sich bereitwillig an meiner Schulter ausweinte, erfüllten mich Leere und Kälte. Eine schneidende Kälte, als stünde ich wieder im peitschenden Wind des Winters auf dem verschneiten Dach.
Swetlana war noch ein Mensch. In ihr gab es noch zu wenig von einem Anderen, sie verstand nicht, erkannte nicht, wie der Weg weiterging, der uns zu gehen bestimmt war. Und noch weniger bemerkte sie, wie dieser Weg sich gabelte.
Liebe ist Glück, aber nur dann, wenn man glaubt, dass sie ewig währt. Und selbst wenn sich das jedes Mal als Lüge erweist, verleiht doch allein dieser Glaube der Liebe ihre Kraft und ihre Freuden.
Aber Swetlana schluchzte an meiner Schulter.
Viel Wissen bedeutet viel Kummer. Wie sehr wünschte ich, nichts von der unausweichlichen Zukunft zu wissen! Nichts zu wissen – und zu lieben, ohne Rücksicht, wie ein einfacher sterblicher Mensch.
Und trotzdem – wie schade, jetzt nicht im eigenen Körper zu stecken. Von außen hätte es so aussehen können, als hätten zwei gute Freundinnen beschlossen, einen ruhigen A-bend vorm Fernseher zu verbringen, mit Tee und Marmelade, einem Fläschchen trockenen Weins und Gesprächen über die drei ewigen Themen: Alle Männer sind Schweine, ich habe nichts zum Anziehen und – das wichtigste überhaupt – wie nehme ich ab.
»Du magst Brötchen also wirklich?«, fragte Swetlana verwundert.
»Ja. Mit Butter und Marmelade«, grummelte ich.
»Wenn ich mich nicht irre, hat irgendjemand versprochen, gut auf diesen Körper aufzupassen.«
»Und was tu ich ihm Schlechtes an? Du kannst mir glauben, der Organismus ist absolut begeistert.«
»Nun ja«, erwiderte Swetlana unbestimmt. »Du solltest Olga fragen, wie sie auf ihre Figur achtet.«
Ich schwankte kurz, schnitt mir dann aber doch ein weiteres Brötchen auf und bestrich es üppig mit Marmelade.
»Und wer ist auf diese geniale Idee gekommen, dich in einem Frauenkörper zu verstecken?«
»Vermutlich der Chef.«
»Daran hab ich nicht gezweifelt.«
»Olga findet es auch gut.«
»Wie sollte es anders sein: Boris Ignatjewitsch ist ihr Zar und Gott.«
Diesbezüglich hegte ich zwar meine Zweifel, schwieg mich jedoch aus. Swetlana stand auf und ging zum Kleiderschrank. Öffnete ihn, um nachdenklich die Bügel zu betrachten.
»Willst du einen Morgenmantel?«
»Was?« Ich verschluckte mich am Brötchen.
»Willst du hier etwa so rumlaufen? Du sprengst diese Jeans noch. Das ist doch unbequem.«
»Hast du vielleicht einen Trainingsanzug?«, fragte ich jammernd.
Swetlana schaute mich amüsiert an, lenkte dann aber ein.
»Wir werden was finden.«
Ehrlich gesagt, hätte ich es vorgezogen, jemand anderen in einem solchen Aufzug zu sehen. Swetlana zum Beispiel. Kurze weiße Shorts und eine Bluse. Perfekt fürs Tennis oder zum Joggen.
»Zieh dich um.«
»Sweta, ich glaube nicht, dass wir den ganzen Abend hier bleiben.«
»Trotzdem. Schaden kann das nicht, dann sehen wir gleich, ob die Größe stimmt. Zieh dich um, ich mach derweil Tee.«
Nachdem Swetlana hinausgegangen war, schlüpfte ich rasch aus den Jeans. Als ich die Bluse aufknöpfte, kam ich mit den unvertrauten, viel zu straff sitzenden Knöpfen durcheinander. Voller Hass betrachtete ich danach mein Spiegelbild.
Eine attraktive Frau, zweifelsohne. Wie geschaffen, um für ein Erotikmagazin fotografiert zu werden.
Hastig zog ich mir die anderen Sachen an und setzte mich aufs Sofa. Im Fernsehen lief eine Seifenoper – wer hätte gedacht, dass Sweta ausgerechnet dieses Programm sah. Freilich, die anderen Kanäle dürften kaum besser sein.
»Du siehst gut aus.«
»Sweta, muss das sein?«, fragte ich. »Mir ist auch so schon schlecht.«
»Gut, entschuldige«, stimmte sie ohne weiteres zu und setzte sich neben mich. »Was sollen wir tun?«
»Wir?«, hakte ich mit
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