1 - Wächter der Nacht
Verschwinden war – und die einzig Hass auf sich selbst zu empfinden vermochte.
»Nein. Sweta, hast du schon mal folgende Analogie gehört: Die Liebe ist eine Blume?«
»Ja.«
»Blumen kann man züchten, Sweta. Man kann sie kaufen. Oder verschenken.«
»Anton hat mich gekauft?«
»Nein«, sagte ich – und sagte es womöglich zu scharf. »Er hat ein Geschenk bekommen. Vom Schicksal.«
»Und was folgt daraus? Wenn das Liebe ist?«
»Sweta, Schnittblumen sind schön. Aber sie halten sich nicht lange. Sie verwelken, selbst wenn du sie noch so beflissen in eine Kristallvase mit frischem Wasser stellst.«
»Er hat Angst, mich zu lieben«, sinnierte Swetlana. »Nicht wahr? Ich hatte keine Angst, weil ich das nicht wusste.«
Ich fuhr am Haus vor und zwängte mich zwischen den geparkten Autos hindurch. Vor allem Shigulis und Moskwitschs. Kein sehr vornehmer Bezirk.
»Warum erzähle ich dir das alles?«, fragte Swetlana. »Wozu verlange ich nach einer Antwort? Und woher weißt du die Antworten, Olga? Liegt es nur daran, dass du vierhundertdreiundvierzig Jahre alt bist?«
Als ich die Zahl hörte, zuckte ich zusammen. In der Tat, eine reiche Lebenserfahrung. Eine ungeheuer reiche.
Im nächsten Jahr würde Olga einen besonderen Geburtstag feiern.
Zu gern hätte ich geglaubt, dass mein Körper in einer derart hervorragenden physischen Verfassung sein würde, wenn ich auch nur ein Viertel dieses Alters erreicht hätte.
»Gehen wir.«
Das Auto ließ ich unbeaufsichtigt stehen. Einem menschlichen Wesen würde es ohnehin nicht in den Sinn kommen, es zu stehlen; die Schutzzauber sind zuverlässiger als jede Alarmanlage. Schweigend, sachlich gingen Swetlana und ich die halbe Treppe hoch und betraten ihre Wohnung.
Hier hatte sich natürlich einiges verändert. Swetlana hatte ihre Arbeit aufgegeben, doch das Stipendium und das »Handgeld«, das jedem Anderen bei der Initiierung gezahlt wurde, stellten die bescheidenen Einkünfte einer Ärztin weit in den Schatten. Den Fernseher hatte sie ausgetauscht, auch wenn nicht klar war, wann sie Zeit zum Gucken fand. Der neue Apparat war luxuriös, mit breitem Bildschirm, schon zu groß für ihre Wohnung. Es war komisch, diese sich unvermutet Bahn brechende Sehnsucht nach einem schönen Leben zu beobachten. Am Anfang tritt sie bei allen auf – möglicherweise als Abwehrreaktion. Wenn die Welt um dich herum zusammenbricht, wenn die alten Ängste und Sorgen verschwinden, an ihre Stelle aber neue treten, noch unverständliche und nebelhafte, fängt jeder an, sich ein paar Träume aus seinem alten Leben zu erfüllen, die ihm noch vor kurzem unrealistisch vorkamen. Der eine prasst im Restaurant, ein anderer kauft sich einen teuren Wagen, ein Dritter kleidet sich mit Haute Couture ein. Diese Phase dauert nicht lange, und zwar nicht deshalb, weil man in der Wache kein Millionär wird. Die Bedürfnisse, die noch gestern so drängten, lassen nach, rücken allmählich in die Vergangenheit. Für immer.
»Olga?«
Swetlana sah mir in die Augen.
Ich seufzte und nahm alle Kraft zusammen. »Ich bin nicht Olga.«
Schweigen.
»Wenn ich es dir früher gesagt hätte, hätte ich Idiot wer weiß was angerichtet. Ich musste warten, bis wir hier sind. Deine Wohnung ist gegen jede Beobachtung seitens der Dunklen geschützt.«
»Ich Idiot?«
Das Wesentliche hatte sie gleich erfasst.
»Ich Idiot«, wiederholte ich. »Das ist nur der Körper von Olga.«
»Anton?«
Ich nickte.
Wie absurd das war!
Nur gut, dass sich Swetlana bereits an Absurditäten gewöhnt hatte.
Sie glaubte mir sofort. »Schuft!«
Sie sprach das Wort auf eine Art aus, die eher der Aristokratin Olga alle Ehre gemacht hätte. Genau wie die Ohrfeige, die ich erhielt.
Die nicht wehtat, mich aber demütigte.
»Wofür?«, fragte ich.
»Dafür, dass du ein fremdes Gespräch belauscht hast!«, platzte Swetlana heraus.
Keine sehr durchdachte Formulierung, aber ich verstand sie. Inzwischen hatte Swetlana die andere Hand erhoben, doch in Missachtung des christlichen Gebots wich ich der zweiten Schelle aus.
»Sweta, ich habe versprochen, auf diesen Körper aufzupassen!«
»Ich nicht!«
Swetlana atmete tief durch und biss sich auf die Lippen. Ihre Augen brannten. Derart wütend hatte ich sie nie zuvor erlebt und noch nicht einmal geahnt, dass sie dazu überhaupt imstande war. Was hatte sie nur so aufgebracht?
»Du hast also Angst, Schnittblumen zu lieben?« Swetlana kam langsam auf mich zu. »Das ist es, ja?«
Dann begriff ich
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