10 - Der Ölprinz
worden sind, ehe sie an Widerstand gedacht haben.“
„Pfui Schande!“ rief da der Hobble-Frank aus. „Und ich habe diese Feiglinge tapfere Leute genannt! Wenn ich gewußt hätte, daß sie sich so mir nischt und dir ooch nischt bei den Haaren ergreifen lassen, da hätte ich ihnen eenen ganz andern Namen gegeben. Wer sich fangen läßt, ohne sich ooch nur zur Wehre zu setzen, der hat sich für alle Zeit um meine ganze konvexe Hochachtung gebracht!“
Winnetou beachtete diese in deutscher Sprache vorgebrachte Rede nicht; er fuhr in seiner Erklärung fort: „Die Navajos und die Weißen befinden sich also in der Gewalt der Nijoras. Diese sind während der Nacht an derselben Stelle lagern geblieben und am Morgen mit ihren Gefangenen fortgeritten.“
„Wohin?“ fragte Sam Hawkens.
„Das weiß ich nicht. Ich habe ihrer Spur nicht folgen können, weil ich ja auf euch warten mußte.“
„Wir müssen ihnen nach! Es handelt sich nicht um den Ölprinzen und die beiden Kerls, welche bei ihm sind. Die mögen meinetwegen skalpiert werden. Aber der Bankier und sein Buchhalter müssen befreit werden. Mir ist nur eins unerklärlich: Am See gibt es doch Wasser und Futter genug für die Pferde. Warum sind die Roten nicht dort geblieben? Warum haben sie da im Wald gelagert, wenn ich mich nicht irre?“
Old Shatterhand hatte bis jetzt noch nichts gesagt, sondern seine Aufmerksamkeit neben den Erklärungen des Apachen auch dem seichten Abflußwässerchen zugewendet, welches aus der Schlucht gerieselt kam. Jetzt, bei Sams letzten Worten, deutete er auf dieses Wasser und antwortete: „Mir scheint, daß hier die Erklärung fließt!“
„Wieso?“
„Riecht ihr denn nichts? Betrachtet doch das Wasser! Es schwimmen ölige Augen darauf.“
Jetzt blickten alle zu dem Bächlein nieder, sogen die Luft ein und fanden, daß dieselbe nach Petroleum roch.
„Hat mein Bruder etwa Öl im See gesehen?“ fragte Old Shatterhand den Apachen.
„Ja“, nickte dieser.
„So hat der Ölprinz das ausgeführt, was wir belauschten. Reiten wir hinein. Ich muß sehen, wie es steht.“
„Aber dabei verlieren wir Zeit“, warf Sam Hawkens ein. „Wir wollen doch den Nijoras nach!“
„Die entgehen uns nicht. Die werden durch die Gefangenen aufgehalten. Wir holen sie jedenfalls noch rechtzeitig ein. Jetzt vor allen Dingen will ich das ‚Gloomy-water’sehen.“
Er lenkte sein Pferd nach der Schlucht und die andern folgten ihm. Der Petroleumgeruch wurde von Schritt zu Schritt stärker, bis sie den See vor sich liegen sahen. Der Anblick desselben wirkte so, daß alle ihre Augen wortlos auf die dunkle, unheimliche Fläche richteten. Nur bei einer Person war die Wirkung eine entgegengesetzte, nämlich bei Frau Rosalie Ebersbach. Als diese den See erblickte, stieß sie einen Ruf des Erstaunens aus, rutschte von ihrem Pferd herab, eilte an das Ufer, hielt einen Finger in das Wasser, besah und beroch denselben und rief aus: „Dunner Sachsen, is das eene großartige Entdeckung! Herr Hobble-Frank, riechen Sie doch gleich 'mal da an meinen Finger! Schpüren Sie, was das is?“
Sie hielt ihm den Finger unter die Nase. Er zog den Kopf zurück und antwortete: „Lassen Sie mich mit Ihrem Spitz- und Zeigefinger in Ruhe! Den brauch' ich nich, um zu erfahren, woran ich bin. Wenn ich 'was riechen will, schtecke ich die Nase in den See. Da habe ich die Petroleumwonne aus der erschten Hand.“
„Also Sie geben ooch zu, daß es Petroleum is?“
„Natürlich! Oder denken Sie etwa, daß ich es für Himbeerlikör halte? Da kennen Sie meine Nase schlecht; die is oft feiner, als ich selber bin.“
„Aber so eene Menge, so eene Menge!“ rief sie, noch immer ganz fassungslos. „Ich hab' freilich schon gehört, daß das Petroleum in Amerika aus der Erde geloofen kommt, hab's aber nich gegloobt. Nu aber liegt's vor meinen eegenen und leibhaftigen Oogen. Ich bleibe hier; ich bleibe hier; mich bringt keen Mensch von dieser Schtelle fort.“
„So? Was wollen Sie denn da?“
„Ich fange eenen Petroleumhandel an. Da is ja een Geschäft zu machen, wie es gar nich größer sein kann. Hier kostet das Öl nich eenen Pfennig und drüben in Sachsen muß man fürs Liter beinahe zwee Groschen bezahlen. Es bleibt dabei: ich laß mich hier nieder und handle mit Petroleum!“
Sie schlug die Hände sehr energisch zusammen, ein Zeichen, daß dieser Entschluß ein unerschütterlicher sei. Frank antwortete lachend: „Schön! Setzen Sie sich immer in den Besitz dieser
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