10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
erheben.
»Mir wird heute nichts zustoßen«, sagte Cersei, als das erste Licht des Tages ihr Fenster erhellte. »Nur mein Stolz wird leiden.« Die Worte hallten hohl in ihren Ohren wider. Vielleicht kommt Jaime ja doch noch. Sie stellte sich vor, wie er durch den Morgennebel ritt, wie seine goldene Rüstung hell im Licht der aufgehenden Sonne glänzte. Jaime, wenn du mich je geliebt hast …
Als ihre Kerkermeisterinnen kamen, führten Septa Unella, Septa Moelle und Septa Scolera die Prozession an. Ihnen folgten vier Novizinnen und zwei Schweigende Schwestern. Der Anblick der Schweigenden Schwestern in ihren grauen Roben erfüllte die Königin mit plötzlichem Schrecken. Warum sind sie hier? Soll ich sterben? Die Schweigenden Schwestern kümmerten sich um die Toten. »Der Hohe Septon hat versprochen, dass mir nichts zustoßen würde.«
»Und Euch wird auch nichts zustoßen.« Septa Unella winkte die Novizinnen vor. Sie brachten Seife, ein Becken mit warmem Wasser, eine große Schere und ein langes Rasiermesser. Als sie den Stahl sah, durchfuhr sie ein Schaudern. Sie wollen mich rasieren. Noch eine kleine Demütigung, eine Rosine in meinem Haferbrei. Aber sie würde ihnen nicht die Freude machen zu betteln. Ich bin Cersei aus dem Hause Lannister, ein Löwe vom Stein, und die rechtmäßige Königin dieser Sieben Königslande, die Tochter von Tywin Lannister. Und Haar wächst nach. » Nur zu«, sagte sie.
Die ältere der beiden Schweigenden Schwestern nahm die Schere. Ohne Frage war sie eine geübte Barbierin, oft genug hatte sie die Leichen der Adligen gewaschen, ehe sie an ihre Familien zurückgegeben wurden, und Bärte zu trimmen und Haare zu schneiden gehörte zu dieser Aufgabe. Als Erstes nahm sie sich den Kopf der Königin vor. Cersei saß still wie eine Steinfigur, während die Schere klickte. Strähnen goldenen Haares fielen zu Boden. Man hatte ihr in der Zelle nicht erlaubt, sich angemessen darum zu kümmern, aber selbst ungewaschen und verfilzt glänzte es, wo die Sonne darauf fiel. Meine Krone, dachte die Königin. Sie haben mir die andere Krone genommen, und jetzt stehlen sie mir diese auch noch. Als ihre Locken auf dem Boden lagen, seifte eine der Novizinnen ihr den Schädel ein, und die Schweigende Schwester kratzte die Stoppeln mit dem Rasiermesser ab.
Cersei hoffte, das würde genügen, aber nein. »Zieht das Kleid aus, Euer Gnaden«, befahl Septa Unella.
»Hier?«, fragte die Königin. »Warum?«
»Ihr müsst geschoren werden.«
Geschoren, dachte sie, wie ein Schaf. Sie zog sich das Kleid mit einem Ruck über den Kopf und warf es zu Boden. »Tut, was Ihr wollt.«
Wieder kamen Seife, warmes Wasser und das Rasiermesser zum Einsatz. Es folgte das Haar unter den Achseln, dann das auf ihren Beinen und zuletzt der feine goldene Flaum, der ihren Hügel bedeckte. Als die Schweigende Schwester ihr mit dem Messer zwischen die Beine kroch, erinnerte sich Cersei plötzlich an all die Male, als Jaime dort gekniet und die Innenseiten ihrer Schenkel geküsst und sie feucht gemacht hatte. Seine Küsse waren immer warm gewesen. Das Rasiermesser war
eiskalt.
Nachdem sie das erledigt hatten, war sie so nackt und verwundbar, wie eine Frau nur sein konnte. Kein einziges Haar, um mich dahinter zu verstecken. Unwillkürlich entfuhr ihr ein leises Lachen, düster und verbittert.
»Findet Euer Gnaden das unterhaltsam?«, fragte Septa Scolera.
»Nein, Septa«, sagte Cersei. Aber eines Tages lasse ich Euch mit einer heißen Zange die Zunge herausreißen, und das wird urkomisch sein.
Eine der Novizinnen hatte eine Robe für sie mitgebracht, die weiche, weiße Robe einer Septa, mit der sie sich verhüllen konnte, solange sie die Treppe im Turm hinunterstieg und durch die Septe ging, auf dass alle Betenden, denen sie auf dem Weg begegneten, vom Anblick ihres nackten Fleisches verschont blieben. Sieben rettet uns, was für Scheinheilige sind das nur. » Gestattet man mir ein Paar Sandalen?«, fragte sie. »Die Straßen sind schmutzig.«
»Nicht so schmutzig wie Eure Sünden«, sagte Septa Moelle. »Seine Hohe Heiligkeit hat befohlen, dass Ihr Euch so zu zeigen habt, wie die Götter Euch erschaffen haben. Hattet Ihr Sandalen an, als Ihr aus dem Bauch Eurer Hohen Mutter gekommen seid?«
»Nein, Septa«, musste die Königin erwidern.
»Dann habt Ihr Eure Antwort.«
Eine Glocke begann zu läuten. Die lange Gefangenschaft der Königin hatte ein Ende. Cersei zog die Robe enger und war dankbar für die Wärme, die sie
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