10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
getötet hatte, der picklige Knappe aus dem Gasthaus am Kreuzweg, und dort drüben die Wache, der sie die Kehle aufgeschlitzt hatte, damit sie aus Harrenhal fliehen konnten. Auch der Kitzler hing an der Wand, und aus den schwarzen Löchern, die seine Augen waren, troff Bosheit. Bei seinem Anblick fühlte sie wieder den Dolch in ihrer Hand, den sie ihm wieder und wieder und wieder in den Rücken gerammt hatte.
Als es endlich Tag wurde in Braavos, war der Himmel grau und düster und verhangen. Das Mädchen hatte auf Nebel gehofft, doch die Götter hatten ihre Gebete nicht beachtet wie so oft. Die Luft war kalt und klar, und der Wind war scharf und bissig. Ein guter Tag für den Tod, dachte sie. Ohne es zu wollen, lag ihr plötzlich ihr Gebet auf der Zunge. Ser Gregor, Dunsen, Raff der Liebling. Ser Ilyn, Ser Meryn, Königin Cersei. Sie bewegte nur still die Lippen. Im Haus von Schwarz und Weiß wusste man nie, wer gerade lauschte.
Die Gewölbe waren voller alter Kleider, den Gewändern jener, die ins Haus von Schwarz und Weiß kamen, um Frieden aus dem Becken des Tempels zu trinken. Hier fand man alles, von Bettlerlumpen bis hin zu prächtigen Kleidern aus Samt und Seide. Ein hässliches Mädchen sollte hässlich angezogen sein, entschied sie und wählte einen schmutzigen braunen Mantel, der am Saum ausgefranst war, ein muffiges grünes Hemd, das nach Fisch roch, und ein Paar schwere Stiefel. Als Letztes ließ sie ihr Fingermesser in der Hand verschwinden.
Es gab keinen Grund zur Eile, daher wählte sie den langen Weg zum Violetten Hafen. Sie ging über die Brücke zur Insel der Götter. Katz aus den Kanälen hatte dort zwischen den Tempeln Herzmuscheln und Miesmuscheln verkauft, wann immer Bruscos Tochter Talea ihr Mondblut hatte und das Bett hüten musste. Halb erwartete sie, Talea heute dort zu sehen, vielleicht vor dem Gewirr, wo all die vergessenen kleinen Götter ihre einsamen kleinen Schreine hatten, aber das war töricht. Der Tag war zu kalt, und Talea stand nur ungern so früh auf. Die Statue vor dem Schrein der Weinenden Dame von Lys vergoss silberne Tränen, als das hässliche Mädchen vorbeiging. In den Gärten von Gelenei stand ein vergoldeter Baum von dreißig Meter Höhe, dessen Blätter aus getriebenem Silber bestanden. Fackelschein leuchtete hinter Fenstern aus Bleiglas in der Holzhalle des Herrn der Eintracht und zeigte ein halbes Hundert verschiedener Schmetterlingsarten in all ihrer bunten Pracht.
Einmal, so erinnerte sich das Mädchen, war das Seemannsweib hier mit ihr spazieren gegangen und hatte ihr Geschichten über die seltsameren Götter der Stadt erzählt. »Das ist das Haus des Großen Hirten. Dem dreiköpfigen Trios gehört der Turm dort mit den drei kleinen Türmchen. Der erste Kopf verschlingt die Sterbenden, und die Wiedergeborenen entspringen dem dritten. Wozu der mittlere gut ist, weiß ich nicht. Das sind die Steine des Schweigenden Gottes, und dort drüben befindet sich der Eingang zum Labyrinth der Gestalter. Nur wer den Weg dort hindurch findet, so sagen die Priester der Gestaltung, findet den Weg zur Weisheit. Dahinter am Kanal liegt der Tempel von Aquan dem Roten Stier. An jedem dreizehnten Tag schlitzen seine Priester einem reinen weißen Kalb die Kehle auf und bieten Bettlern Schalen mit Blut an.«
Heute war kein dreizehnter Tag, schien es; die Treppe des Roten Stiers war leer. Die Brüdergötter Semosh und Selloso träumten in ihren Zwillingstempeln auf einander gegenüberliegenden Ufern des Schwarzen Kanals und wurden von einer Steinbrücke verbunden. Diese Brücke überquerte das Mädchen und machte sich auf den Weg zu den Häfen. Sie durchquerte den Lumpensammlerhafen und ging an den halb versunkenen Türmen und Kuppeln der Überfluteten Stadt vorbei.
Eine Gruppe von Seeleuten aus Lys torkelte aus dem Hafen der Glückseligkeit, als sie vorbeikam, doch das Mädchen sah keine der Huren. Das Schiff war geschlossen und verlassen, die Mimen, die dort wohnten, lagen ohne Zweifel noch im Bett. Aber ein Stück weiter, auf dem Kai neben einem Walfänger aus Ibben, entdeckte sie Katz’ alten Freund Tagganaro, der mit Casso, dem König der Seehunde, Ball spielte, während sich sein neuester Beutelschneider durch die Menge der Zuschauer arbeitete. Als sie stehen blieb, um einen Augenblick zuzuschauen und zuzuhören, sah Tagganaro sie an, ohne sie zu erkennen, aber Casso bellte und klatschte mit den Flossen. Er hat mich erkannt, dachte das Mädchen, oder er riecht den Fisch. Sie
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