10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
spendete. »Lasst uns gehen.« Ihr Sohn wartete auf der anderen Seite der Stadt. Je eher sie aufbrach, desto eher wäre sie bei ihm.
Der raue Stein der Stufen kratzte unter ihren Fußsohlen, als Cersei Lannister hinabstieg. Als Königin war sie in einer Sänfte in Baelors Septe eingetroffen. Jetzt verließ sie sie kahlgeschoren und barfuß. Aber ich gehe. Nur darauf kommt es an.
Die Turmglocken sangen und riefen die Stadt, um Zeuge ihrer Schande zu werden. Die Große Septe von Baelor war voller Gläubigen, die zur Morgenandacht gekommen waren, und ihre Gebete hallten von der Kuppel über ihren Köpfen wider, doch als die Prozession der Königin auftauchte, kehrte plötzlich Stille ein, und tausend Augen folgten ihr, als sie durch den Mittelgang schritt, vorbei an der Stelle, wo ihr Hoher Vater nach dem Mord aufgebahrt gelegen hatte. Cersei rauschte an ihnen vorüber und sah weder nach rechts noch nach links. Ihre nackten Füße klatschten auf den kalten Marmorboden. Sie spürte die Blicke. Hinter ihren Altären schienen die Sieben sie ebenfalls zu beobachten.
In der Halle der Lampen erwartete sie ein Dutzend Söhne des Kriegers. Regenbogenmäntel hingen von ihren Schultern, und die Kristalle auf ihren Großhelmen glitzerten im Lampenschein. Ihre Rüstung bestand aus einem Silberharnisch, der so glatt poliert war, dass man ihn als Spiegel benutzen konnte, doch darunter, so wusste sie, trug jeder Mann ein Büßerhemd. Ihre rautenförmigen Schilde zeigten alle das gleiche Wappen: ein Kristallschwert, das in der Dunkelheit leuchtete, das uralte Wahrzeichen jener, die vom gemeinen Volk »die Schwerter« genannt wurden.
Ihr Hauptmann kniete vor ihr nieder. »Vielleicht erinnert sich Euer Gnaden an mich. Ich bin Ser Theodan der Aufrichtige, und Seine Hohe Heiligkeit hat mir den Befehl über Eure Eskorte übergeben. Meine Brüder und ich werden Euch sicher durch die Stadt geleiten.«
Cersei ließ den Blick über die Gesichter der Männer hinter ihm schweifen. Und da stand er: Lancel, ihr Vetter, Ser Kevans Sohn, der ihr einst seine Liebe bekundet hatte, ehe er sich entschieden hatte, dass er die Götter mehr liebte. Mein Blut und mein Verräter. Das würde sie ihm nicht vergessen. »Erhebt Euch, Ser Theodan. Ich bin bereit.«
Der Ritter stand auf, drehte sich um und hob eine Hand. Zwei seiner Männer traten an die hohen Tore und schoben die Flügel auf, und Cersei trat hindurch ins Freie. Sie blinzelte in die Sonne wie ein Maulwurf, der aus seinem Bau kriecht.
Ein böiger Wind wehte und ließ ihre Robe knatternd um ihre Beine flattern. In der Morgenluft hing der alte, vertraute Gestank von King’s Landing. Sie roch sauren Wein, frisch gebackenes Brot, verdorbenen Fisch und Kot, Rauch und Schweiß und
Pferdepisse. Keine Blume hatte je so süß geduftet. Eingehüllt in ihre Robe, blieb Cersei oben auf den Marmorstufen stehen, während sich die Söhne des Kriegers um sie herum formierten.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie an dieser Stelle schon einmal gestanden hatte, an dem Tag, an dem Lord Eddard Stark seinen Kopf verloren hatte. Das hätte nicht geschehen sollen. Joff hatte ihn begnadigen und zur Mauer schicken sollen. Starks ältester Sohn wäre ihm als Lord von Winterfell gefolgt, aber Sansa wäre als Geisel bei Hofe geblieben. Varys und Littlefinger hatten die Bedingungen ausgehandelt, und Ned Stark hatte seine kostbare Ehre heruntergeschluckt und seinen Verrat gestanden, um den dummen kleinen Kopf seiner Tochter zu retten. Ich hätte Sansa schon eine gute Partie verschafft. Einen Lannister. Natürlich nicht Joff, aber Lancel wäre passend gewesen, oder einer seiner jüngeren Brüder. Petyr Baelish hatte angeboten, das Mädchen zu heiraten, erinnerte sie sich, aber natürlich war das nicht möglich gewesen: Er war von viel zu einfacher Geburt. Wenn Joff nur getan hätte, was man ihm gesagt hatte, wäre Winterfell niemals in den Krieg gezogen, und Vater hätte sich um Roberts Brüder gekümmert.
Stattdessen hatte Joff befohlen, Stark den Kopf abzuschlagen, und Lord Slynt und Ser Ilyn Payne hatten unverzüglich gehorcht. Es war genau dort, erinnerte sich die Königin und sah zu der Stelle. Janos Slynt hatte Ned Starks Kopf an den Haaren in die Höhe gehalten, während sein Lebensblut die Stufen hinunterfloss, und danach hatte es kein Zurück mehr gegeben.
Die Erinnerung war so fern. Joffrey war tot, und Starks Söhne ebenfalls. Sogar ihr Vater war gestorben. Und sie stand wieder hier auf den Stufen der Großen
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