10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
ehe sie den Stock weglegte und mit ihrer Arbeit fortfuhr. Wenn ich meine Augen hätte, könnte ich ihn grün und blau schlagen. Eines Tages würde der Gütige Mann sie ihr zurückgeben, und dann würde sie es ihnen allen zeigen.
Die Leiche der alten Frau war inzwischen ausgekühlt, die des Bravos wurde steif. Daran war das Mädchen gewöhnt. An den meisten Tagen verbrachte sie mehr Zeit mit den Toten als mit den Lebenden. Sie vermisste die Freunde, die sie als Katz aus den Kanälen gehabt hatte, den alten Brusco mit seinem schlimmen Rücken, seine Töchter Talea und Brea, die Mimen vom Schiff, Merry und ihre Huren im Hafen der Glückseligkeit, und all die anderen Schurken und den Abschaum vom Kai. Am meisten vermisste sie Katz, sogar mehr als ihre eigenen Augen. Sie hatte es gemocht, Katz zu sein, mehr als Salzy oder Jungtaube oder Wiesel oder Arry. Ich habe Katz getötet, als ich diesen Sänger umgebracht habe. Der Gütige Mann hatte ihr gesagt, sie hätten ihr die Augen sowieso genommen, damit sie lernte, ihre anderen Sinne zu benutzen, aber erst ein halbes Jahr später. Blinde Akolythen waren nichts Ungewöhnliches im Haus von Schwarz und Weiß, doch nur selten gab es so junge wie sie. Dem Mädchen tat es trotzdem nicht leid. Dareon war aus der Nachtwache desertiert, er hatte den Tod verdient.
Das hatte sie auch dem Gütigen Mann gesagt. »So bist du also ein Gott und darfst entscheiden, wer leben soll und wer sterben muss?«, hatte er sie gefragt. »Wir geben jenen die Gabe, die von Ihm mit den Vielen Gesichtern gezeichnet wurden, und zwar nach Gebeten und Opfern. So war es schon immer, von Anfang an. Ich habe dir von der Gründung unseres Ordens erzählt, wie der Erste von uns die Gebete der Sklaven erhörte, die sich den Tod wünschten. Die Gabe wurde zu Beginn nur jenen gewährt, die sich danach sehnten … doch eines Tages hörte der Erste von uns einen Sklaven, der nicht für seinen eigenen Tod, sondern für den seines Herrn betete. Er bat so inständig darum und opferte seinen gesamten Besitz, auf dass sein Flehen erhört würde. Und es erschien unserem ersten Bruder so, als würde dieses Opfer Ihm mit den Vielen Gesichtern gefallen, und so erhörte er sein Flehen in jener Nacht. Dann ging er zu dem Sklaven und sagte: ›Du hast deine ganze Habe für den Tod dieses Mannes geopfert, aber Sklaven besitzen nichts außer ihrem Leben. Das verlangt der Gott von dir. Für den Rest deiner Tage auf Erden wirst du ihm dienen.‹ Und von diesem Moment an waren wir zwei.« Seine Hand schloss sich um ihren Arm, sanft, aber fest. »Alle Menschen müssen sterben. Wir sind nur die Werkzeuge des Todes, nicht aber der Tod selbst. Als du den Sänger getötet hast, hast du dir selbst die Macht des Gottes angeeignet. Wir töten Menschen, aber wir maßen uns nicht an, über sie zu urteilen. Verstehst du das?«
Nein, dachte sie. »Ja«, sagte sie.
»Du lügst. Und deshalb musst du von jetzt an in Dunkelheit wandeln, bis du den Weg siehst. Sofern du uns nicht verlassen willst. Du musst nur danach fragen, und du bekommst deine Augen zurück.«
Nein , dachte sie. »Nein«, sagte sie.
An diesem Abend, nach dem Essen und einer kleinen Lektion im Lügenspiel, band sich das blinde Mädchen einen alten Lappen um den Kopf, um die nutzlosen Augen zu verbergen, suchte ihre Bettelschale und bat die Heimatlose, ihr zu helfen, Beths’ Gesicht aufzusetzen. Die Heimatlose hatte ihr den Kopf geschoren, nachdem sie ihr die Augen genommen hatten; den Mimenschnitt, nannte sie es, denn viele Mimen schoren sich ebenfalls kahl, weil ihre Perücken dann besser saßen. Doch auch bei Bettlern war es sinnvoll, denn so blieb ihr Kopf von Flöhen und Läusen verschont. Allerdings brauchte sie etwas Besseres als eine Perücke. »Ich könnte dich mit nässenden Wunden bedecken«, schlug die Heimatlose vor, »aber dann würden die Gastwirte dich von ihren Türen fortjagen.« Stattdessen bekam sie Pockennarben und einen falschen Leberfleck auf die Wange. »Ist er hässlich?«, fragte das blinde Mädchen.
»Er ist nicht hübsch.«
»Gut.« Sie hatte sich nie darum geschert, ob sie hübsch war, selbst als dumme Arya Stark. Nur ihr Vater hatte sie hübsch genannt. Er, und manchmal Jon Snow. Ihre Mutter hatte hingegen gesagt, sie könnte hübsch sein, wenn sie sich die Haare waschen und kämmen und sich mehr Mühe mit ihrem Kleid geben würde, so wie ihre Schwester. Für ihre Schwester und die Freunde ihrer Schwester und überhaupt alle anderen war sie nur
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