10 - Operation Rainbow
Hinterhalt gedient hatte. Dies hier würde Jüans kühnster Streich werden, dachte Rene; er wirkte tatendurstig, konzentriert, vielleicht etwas nervös, oder vielmehr angespannt wie eine Sprungfeder und bereit, seine Rolle zu spielen. Auch Rene hatte dergleichen schon hinter sich, gezielte Morde, zumeist in belebten Straßen. Er pflegte seinen Opfern direkt gegenüberzutreten, die schallgedämpfte Pistole abzufeuern und ganz normal weiterzugehen, was immer am besten war - auf diese Weise wurde man nicht identifiziert. Das Schießeisen bekam keiner zu sehen, und wer erinnert sich schon an einen Passanten, der über die Champs Elysees schlendert? So brauchte man nur die Kleider zu wechseln und das Fernsehen anzustellen, um die Berichte über seine Arbeit zu verfolgen. Mittlerweile war die Action Directe weitgehend, wenn auch nicht vollständig, von der französischen Polizei zerschlagen worden. Die Gefangenen vertrauten auf ihre Genossen Nachfolger und hatten sie weder verraten noch angeschwärzt, trotz des großen Drucks und der Versprechungen ihrer uniformierten Landsleute. Wer weiß, ob am Ende dies er Aktion einige von ihnen wieder freikamen - obwohl das Hauptziel zunächst in der Befreiung des Genossen Carlos lag. Es würde nicht leicht sein, ihn aus Le Sante herauszuholen, dachte Rene. Er erhob sich und trat ans Fenster. Unten lag der Bahnhof; eine Lokomotive war bereits unter Dampf, um eine große Anzahl Kinder zum Park zu bringen. Darüber konnte freilich keine Regierung, und sei sie noch so kaltblütig, hinweggehen.
Zwei Häuser weiter stand Jean-Paul am Fenster, in dieselben Gedanken vertieft. Er war nicht verheiratet, hatte nie eine einigermaßen glückliche Beziehung gehabt. Jetzt, wo er 43 war, machte sich die Lücke bemerkbar, die das in sein Leben und seinen Charakter gerissen hatte; eine Abnormität, die er mit politischen Phrasen kompensierte, mit hehren Grundsätzen und der Vision einer strahlenden sozialistischen Zukunft für sein Land, für Europa und letztlich für die ganze Welt. Doch eine leise innere Skepsis verriet ihm, daß solche Ideen bloß Wunschträume waren, daß die Wirklichkeit, die vor ihm lag - drei Stockwerke tiefer, hundert Meter rechts, in den fernen Gesichtern der Kinder, die in den Zug kletterten - daß diese Wirklichkeit..., aber nein, solche Gedanken waren Verrat an der Sache. Jean-Paul und die anderen wußten , daß sie auf der richtigen Seite standen. Jahrelang hatten sie darüber diskutiert und waren zu dem Schluß gekommen, daß sie die Fackel vorantragen mußten. Ihre Trauer und Wut, die so wenige nachvollziehen konnten... Eines Tages würde man sie verstehen, man würde sie feiern, weil sie den Weg in eine gerechtere Welt gebahnt hatten, als revolutionärer Vortrupp, der geschichtliche Kräfte und die Sehnsucht der Massen erkannte und durchsetzte... Und dann würde man nicht die Fehler der Russen wiederholen, jener übergroßen, törichten Nation voll rückständiger Bauern. Aus all diesen Gründen konnte er mit ruhigem Blick die Passagiere mustern, die zusammenrückten, als der Zug einlief, und sehen... Nein, sie waren nicht das Volk, selbst die Kinder nicht; die politischen Ziele mu ßten andere formulieren, Leute wie er, die begriffen hatten, welchen Gesetzmäßigkeiten die Geschichte folgt - oder folgen sollte. Folgen würde , wie er zuversichtlich korrigierte. Eines Tages auf jeden Fall.
Mike Dennis nahm sein Mittagessen im Freien ein, was er sich schon in Florida angewöhnt hatte. Was ihm an Worldpark gefiel, war die Tatsache, daß man dazu einen Drink bekam, in seinem Fall einen angenehmen spanischen Rotwein, den er aus dem Plastikbecher trank, während er zusah, wie die Menschen umherschlenderten. Wie immer hielt er dabei nach Schönheitsfehlern Ausschau. Er fand keine, die ihm aufgefallen wären. Die Wege waren sorgsam angelegt; bei der Planung hatte man Computerdesign benutzt.
Die Achterbahnen waren das, was die meisten Schaulustigen anzog, daher führten die Straßen an den spektakulärsten vorüber. Die großen teuren waren auch die besten. Seine eigenen Kinder hatten sich begeistert gezeigt. Besonders vom Tauchbomber , einer Looping-Fahrt, die selbst dem erfahrensten Segelflieger den Magen herumdrehte und das Unterste zuoberst kehrte; dicht gefolgt von der Zeitmaschine , einer Virtual-Reality-Fahrt mit 96 Teilnehmern alle sieben Minuten - eine Sekunde länger, und ältere Menschen konnten ernsthaft krank werden, das hatten Tests bewiesen. War man
Weitere Kostenlose Bücher